Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Plachunin nach Batkit bringen würde. »Ich denke, es ist längst alles gesagt, Mischa?«
»Nicht alles«, antwortete er. »Ich habe eine neue Meldung aus Omsk.«
»Ich habe keine Angst vor neuen Meldungen! Ich hatte nur Angst vor Kassugai – und der ist tot. Du bist doch bei mir – das ist meine vollkommene Welt!«
Er nickte. Was er sagen mußte, fiel ihm jetzt um so schwerer.
»Wenn der klare Frost kommt, nehmen wir die Arbeit wieder auf …«
»Das ist doch gut, Mischa!« Sie stand am Herd und kochte für das Abendessen eine dicke Bohnensuppe. In der alten Eisenpfanne brutzelte kleingeschnittener Speck, um die Suppe zu verfeinern.
»Das nennst du gut?« fragte er dumpf.
»Du liebst deine Arbeit, das weiß ich doch. Du bist kein Mensch, der nur herumsitzen kann und Löcher in den Himmel starrt.«
»Ich liebe dich, Natjenka …«, sagte er.
»Das steht auf einem anderen Blatt.«
»Aber das Geschehen greift doch in diese Liebe ein. Entscheidend sogar …«
Natalia nahm die Pfanne vom Feuer und drehte sich zu Tassburg um. Ihre Augen verrieten ihm, daß sie alles ahnte. Über ihr schmales zartes Gesicht flimmerte der rote Widerschein der offenen Flamme.
»Im Gebiet von Satowka gibt es kein Erdgas mehr, nicht wahr?« fragte sie ruhig. »Das ist jetzt sicher?«
»Fast sicher …«
»Ihr sucht hier nicht mehr weiter …«
»Wir brechen die Suche ab, ja.«
»Und zieht weiter in die unbekannte Taiga hinein?«
»Aus Omsk kommen noch die neuen Berechnungen und Pläne.« Tassburg beugte sich über die kleine Gebietskarte, die er aus seiner Tasche gezogen hatte. Man hatte alle bisherigen Probebohrungen eingetragen. »Wir müssen wahrscheinlich weiter nach Nordosten, zum Chunku …« Er deutete mit dem Zeigefinger auf einen Fleck der Karte.
Aber Natalia kam nicht, um es sich anzusehen. Wozu? Sie wußte auch ohne einen Blick auf die Karte, daß es noch viele Gebiete in Sibirien gibt, die kaum ein Mensch betreten hatte. Vielleicht ein paar nomadisierende Jäger, die durch das unbekannte Land zogen, ohne Spuren zu hinterlassen.
»Weißt du, wie es dort ist?« fragte Michail beklommen. »Am Unterlauf des Chunku? Im Hügelland?«
»Da weinen die Wölfe vor Einsamkeit …«
»So ist es.«
»Und warum erzählst du mir das?«
»Um dir zu sagen, daß …«
Natalia schüttelte den Kopf und rührte mit einem Holzlöffel den angebratenen Speck in der Eisenpfanne um. »Du wirst da, am Chunku, mit deinen Leuten leben?«
»Ja.«
»Du kannst da leben, ohne zu hungern und zu frieren?«
»Ja.«
»Warum soll ich dann da nicht auch leben können … mit dir?«
»Das Kind, Natalia!«
»Das Kind! Auf seinem Geburtsschein, den es später bekommt, wird stehen: Geboren am Unterlauf des Chunku. Und wenn es größer ist, und das, was man sagt, verstehen kann, werde ich ihm erzählen: ›Da waren ein gefüttertes Zelt und ein Klappbett, und darauf hat dich deine Mamuschka mitten in der Taiga geboren. Um dich herum waren die unendlichen Wälder, und über dem Zelt war der grenzenlose Himmel … Werde so stark wie Wald und Himmel, mein Sohn!‹ Er wird es verstehen und stolz darauf sein, glaubst du nicht auch, Mischa?«
»Natalia! Wir sind am Chunku nur Männer! Keiner kann dir helfen von uns!«
»Ist nicht einer von deinen Männern zum Sanitäter ausgebildet worden?«
»Natürlich! Wir alle ein wenig.«
»Das genügt! Das ist mehr, als jede Ewenkenfrau hat, die ihr Kind am Rande des Waldes oder eines kleinen Feldes zur Welt bringt, auf der Erde, wie eine Hündin …«
»Du bist aber keine Hündin!« schrie Tassburg. »Ich will, daß meine Frau und mein Kind …«
»Warum schreist du?« fragte sie sanft. Sie schüttete den Speck in die Bohnensuppe und rührte um. »Ich bleibe bei dir. Erschlage mich, wenn du das nicht mehr willst …«
Hatte es da noch einen Sinn, weiterzusprechen? Gab es überzeugende Argumente, wenn die Einsamkeit und Wildnis des Chunku sie nicht abschrecken konnte?
Tassburg kapitulierte vor Natalias Liebe.
Und das war genau das, was Dr. Plachunin gemeint hatte: Eine wahnsinnige Liebe bleibt eben Wahnsinn! Da kann man die Sache drehen, wie man will.
Am nächsten Morgen gegen elf Uhr landete der Hubschrauber aus Batkit. Ein junger Soldat flog ihn, der sich sichtlich wunderte, mitten in der Wildnis ein solches Dorf vorzufinden: Ein Dorf, sogar mit einer richtigen Kirche und einem leibhaftigen Popen.
Denn als der Hubschrauber genau vor der Kirche landete, waren nicht nur die Leute von Satowka
Weitere Kostenlose Bücher