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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ausgegangen. »Sie werden von den Öfen fallen wie die Bratäpfel, das wette ich, Dr. Plachunin …«
    Man sah es ihm an, daß er sich über diese Vorstellung freute wie ein Kind.
    Man muß wissen, daß bis auf die ganz Alten jeder, sobald es Winter wurde, nicht mehr in seinem Bett, sondern auf der Plattform des breiten gemauerten Ofens schlief.
    »Und wie wollen Sie Ihr Auftauchen erklären?« fragte der Doktor.
    »Ich bin einfach da!« Tigran strich sich seinen langen Bart und wirkte sehr erhaben. »Ich bin da, und das genügt!«
    »Genial!« meinte Dr. Plachunin lächelnd. »Einfach genial! Aber noch genialer wäre es, wenn wir jetzt den Ofen anheizen könnten!« Er war ehrlich erstaunt, wie gut der Pope seine Bauern kannte. Noch mehr aber erstaunte ihn, daß trotz aller neuzeitlichen Aufklärung der Hang des Menschen geblieben war, an Wunder zu glauben.
    Am Morgen also läutete Tigran Rassulowitsch die Glocke – ganz normal, kein Sturmgeläute –, und es wirkte in Satowka, als stünde das ganze Dorf in Brand. Von allen Seiten rannten die Leute zur Kirche, strömten hinein, standen Kopf an Kopf, starrten auf die Ikonostase und warteten, ob tatsächlich der Pope aus der Sakristei hervorkäme.
    Und er kam, groß, breit, mit gesträubtem Bart, wie immer, und ein Stöhnen lief durch die Dorfgemeinde. Gasisulin, der Küster, begann laut zu beten, Jefim sang leise vor sich hin und sogar Petrow war erschienen, um sich zu überzeugen, daß vom Teufel entführte Menschen wirklich wieder zurückkehren können. Er schielte vor innerer Ergriffenheit noch mehr als sonst.
    Dr. Plachunin, der sich hinter der Ikonenwand versteckt hatte, mußte sich schnell auf einen Hocker setzen, als Tigran begann, eine geradezu unerhörte Geschichte zu erzählen. Er tat das mit gewohnter Donnerstimme, die wie aus den Wolken kam und der man anhörte, daß spätere Fragen nicht akzeptiert werden würden.
    »Es war etwas Geheimnisvolles, Unerklärliches«, sagte Tigran und erhob seinen Blick zum ausgemalten Kirchendach. »Wir wurden leichter und leichter, schwebten dahin wie Federchen im Wind, zuerst aus dem Bett, dann durch das Zimmer – und weiter wissen wir nichts. Wir schliefen ein wie Kinder, die ihre heiße Milch getrunken haben. Als wir erwachten, lagen wir wieder im Bett, und ein Tag und zwei Nächte waren vergangen. Was war es? Kann man's erklären? Gottes Wunder hören nimmer auf! Hosianna!«
    Er betrachtete seine Gemeinde, blickte in ernste, gläubige, aber auch in leicht zweifelnde Gesichter. Vor allem die Frauen glaubten ihm und bekreuzigten sich, aber da waren so ein paar aufgeklärte Halunken, die schauten schief unter ihren Haarbüscheln hervor.
    »So war es!« brüllte Tigran da. »Fragt den Doktor! Ihm erging es genauso! Genosse Dr. Plachunin, treten Sie vor! Zeigen Sie sich! Bestätigen Sie das Unglaubliche …«
    Es blieb Plachunin nichts weiter übrig, als vor die Ikonostase zu kommen und ernst zu nicken. Da seine Stimme der des Popen in nichts nachstand, brüllte er ebenfalls über die Köpfe der Gemeinde hinweg: »Nehmt hin, was Väterchen Tigran Rassulowitsch euch sagt! Wir waren in einer anderen Welt!«
    Tigran blinzelte ihm dankbar zu, und die Bauern von Satowka waren nun überzeugt, daß ihr Dorf ein Mittelpunkt göttlichen Interesses, ein Ort der Wunder geworden war. Alle begannen, nachdem der Vorsänger Ostap Leonidowitsch einen Lobgesang angestimmt hatte, mit Ergriffenheit zu singen. Sogar der Dorfsowjet sang mit, was bewies, wie überzeugend der kurze Auftritt Dr. Plachunins gewesen war.
    »Sie sind wirklich ein Genie auf Ihrem Gebiet!« sagte Plachunin später im warmen Popenzimmer.
    »Und bin doch nichts weiter als ein sibirischer Priester geworden!« Tigran Rassulowitsch aß aus einem irdenen Topf mit dem Löffel Himbeermarmelade, die ihm Anastasia eingekocht hatte. Sie war nicht in der Kirche gewesen, – als sie die Glocke läuten hörte, hatte sie einen zweiten Schock bekommen und lag nun noch im Bett, bewacht von der Hebamme. »Er lebt!« wimmerte sie nur immer wieder. »Er lebt! Wer kann das begreifen?«
    Sie hatte recht: Begreifen konnte es keiner, aber man mußte es eben glauben. Tigran Rassulowitsch war wieder da, der Doktor war wieder da, der Genosse Ingenieur hatte den Teufelszauber auch überlebt und hatte nichts gehört oder bemerkt … Da hört jegliches Begreifen einfach auf!
    »Morgen holt mich der Hubschrauber aus Batkit ab«, sagte Plachunin in einer Pause von Tigrans Schmatzen. »Überlegen

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