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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zurück.«
    »Aha!« Der Geologe beugte sich zu Tassburg vor. »Sie waren ganz schön betrunken, was?«
    »Glauben Sie, was Sie wollen, Genosse! Ich weiß es, ich habe es erlebt!«
    Und dann spielte Tassburg ein gefährliches Spiel, als er hinzufügte: »Wenn Sie es nicht glauben … bitte, ich lade Sie ein, eine Nacht bei mir zu schlafen! Sie sind der Frau Gräfin ja noch unbekannt. Es fragt sich nur, ob Sie ihr sympathisch sind …«
    Der Geologe bekam große Augen, steckte die Pfeife zwischen die Zähne und knurrte etwas, das Tassburg nicht verstand. Aber die Einladung schien er nicht annehmen zu wollen …
    »Verdammt, geht nach Hause!« sagte Tassburg laut zu den Leuten von Satowka. »Ihr seht, es ist nichts passiert!«
    »Väterchen Tigran und der Doktor sind verschwunden!« jammerte Jefim. »Wer kann das erklären? Sind einfach weg! In Luft aufgelöst …«
    »Sie werden wiederkommen. Vielleicht sind sie weggefahren?«
    »Wohin bei diesem Schnee?« sagte Petrow. »Der Wagen steht vor dem Haus. Und wo sollen sie hin? In die Taiga? Warum?« Petrow war so erschüttert, daß er nicht weitersprechen konnte. Er mußte ein paarmal Luft holen, bis die Kehle wieder frei war. »Wir haben zwei Suchhunde hier. Aber es gibt keine Spuren! Der Schnee hat alles zugedeckt.«
    Dem Himmel sei Dank, dachte Tassburg. Er fror jetzt tüchtig und wollte ins Haus zurück. Wenn die Leute in das Zimmer blicken könnten! Der schnarchende Tigran auf der Bank, und der Doktor wie aufgebahrt auf dem Tisch! Und nebenan Natalia, die Braut, in ihrem Hochzeitskleid mit den Rosen aus farbigem Durchschlagspapier …
    Ist das Leben nicht manchmal verrückt?
    »Ich muß meinen Tee trinken«, sagte er. Dann wandte er sich an den Geologen: »Ich komme heute noch ins Lager! Funken Sie dem Bohrtrupp, daß nun alle Leute zurückkommen, nachdem der Schneefall aufgehört hat.«
    Er wartete die Antwort nicht ab, sondern ging schnell zum Haus zurück und schlug die Tür hinter sich zu.
    Die Leute von Satowka standen noch herum als wären sie erstarrt. Allmählich bröckelte der Kreis auseinander, einer nach dem anderen wandte sich ab – und alle gingen in ihre Häuser in dem Bewußtsein, so etwas nie wieder zu erleben.
    Womit sie auch recht behielten.

XII
    Es war ein Tag, der sich hinzog wie Sirup an einem Löffel.
    Tigran und Dr. Plachunin saßen im Haus herum und erfreuten sich einerseits am Anblick Natalias, andererseits berieten sie ergebnislos, was sie sagen wollten, wenn sie am nächsten Tag wieder im Dorf auftauchten.
    Natalia putzte, fegte und kochte und erzählte später von ihrer Arbeit auf der Sowchose von Mutorej.
    Einmal schlug der Pope vor, einfach zu sagen, sie wären immer da gewesen, nur die anderen hätten sie nicht gesehen – der Teufel habe wohl das ganze Dorf mit Blindheit geschlagen! Dieser Vorschlag war so wahnwitzig, daß Dr. Plachunin sich ernsthaft überlegte, ob man die Idee nicht doch aufgreifen sollte. Nichts ist so überzeugend wie das Unbegreifliche …
    »Ich verstehe jetzt, warum ihr Popen so gefährlich seid«, sagte der Doktor fast mit Hochachtung. »Vor euch ist kein noch so klar denkender Mensch sicher! Sie schaffen es tatsächlich, daß ein ganzes Dorf glaubt, es sei von Wahnvorstellungen befangen gewesen …«
    »Wissen Sie etwas Besseres?« fragte Tigran unlustig. »Hundertfünfzig Jahre hat man an das Geisterhaus geglaubt. Und was ist es wirklich? Ein ganz normales, unbewohntes Haus, in dem – rein zufällig – eine Reihe von Personen unter sonderbaren Umständen gestorben ist. Aber soll ich jetzt allen Leuten die Wahrheit sagen? Welche Enttäuschung, welche Wut würde sich entladen! Verbrennen würde man das Haus. Und dann stände das Dorf wie nackt da, ohne den Mythos des ›Leeren Hauses‹, denn im Grunde lieben sie es alle, weil Satowka durch dieses Haus etwas Besonderes ist. Der Mensch braucht Freude und Leid, Liebe und Haß, Glück und Elend, so wie man den Tag und die Nacht braucht, den Regen und die Sonne, den Wind und die Stille, denn nur im Wechsel und in der Vielfalt entwickelt sich das Leben. Was ist ein immerfort glücklicher Mensch? Ein erbarmungswürdiges Geschöpf, sage ich! Er wird jeden beneiden, der weinen kann! Ist es anders mit diesem Haus? Es liegt in der Mitte des Dorfes, beladen mit Ereignissen und schwer von Flüchen … aber es gehört einfach zu Satowka!«
    »Sie sind ein Philosoph, Tigran Rassulowitsch«, sagte Dr. Plachunin. »Ein Jammer, daß Sie in der Taiga versauern …«
    »Ohne

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