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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Taiga und Satowka wäre ich nicht ich!« Der Pope wischte sich die Augen. Rührung überkam ihn. »Wo könnte ich anders sein als hier?«
    Wahr gesprochen! Ein Tigran Rassulowitsch paßte nur in die Taiga.
    Tassburg ging unterdessen, als sei nichts geschehen, wieder seiner Arbeit nach. Er saß im Lager vor dem Funkgerät, sprach mit den restlichen Leuten in der Taiga, funkte nach Batkit und Omsk und erfuhr, daß man Hubschrauber einsetzen würde, um den Trupp zu versorgen und auch den Arzt Dr. Plachunin abzuholen. Der erste Hubschrauber würde übermorgen in Satowka landen. Die Meteorologen sagten einsetzenden starken Frost ohne nennenswerte Schneefälle voraus – ein ideales Flugwetter also.
    »Zum letztenmal …«, sagte am Abend Dr. Plachunin, als Tassburg mit diesen Nachrichten nach Hause kam. Im Dorf hatte man sich über die Ereignisse der vergangenen Nacht beruhigt, aber was man nicht verkraften konnte, war das Verschwinden von Väterchen Tigran. Die Witwe Anastasia weinte ununterbrochen und verkündete, sie wolle sterben, falls der Pope nicht bald wieder auftauche.
    »Ein braves Frauchen«, sagte Tigran gerührt, als er das hörte. »Sobald ich wieder gegenwärtig bin, werde ich sie segnen …«
    Der Doktor sagte:
    »Zum letztenmal … Entscheidet euch! Ich werde abgeholt! Natalia kann mit mir nach Batkit fliegen und dort ihr Kind zur Welt bringen. Heute nacht nehmen wir sie mit in die Kirche, und wenn übermorgen der Hubschrauber landet, hat keiner mehr Zeit im Dorf, zu fragen, wo das Mädchen herkommt und wer es ist … Wir sind in der Luft, ehe sie überhaupt nachdenken können. Alles andere überlaßt dann mir! In Batkit habe ich meine Beziehungen. Ich habe einen ganzen Tag lang Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Wir wagen es!«
    »Ich bleibe bei Michail«, sagte Natalia ruhig. »Ihr könnt Pläne machen und damit Häuser bauen bis in den Himmel. Aber ich bin dort, wo Michail ist …«
    »Amen!« sagte Tigran dunkel. »Das ist wahre Liebe!«
    »Wahnsinn ist es!« schrie Plachunin. »Dieser Weg ist viel unsicherer, viel komplizierter! Natalia, du hast jetzt nicht nur einen Mann, du hast auch ein Kind! Denk an dein Kind!«
    »Ich denke zuerst an Mischa …«
    Die beiden saßen nebeneinander auf der Bank, und jeder hatte den Arm um den anderen gelegt. Ein schönes Bild der Verbundenheit, aber Dr. Plachunin machte es wütend. Liebe hört dort auf, wo sie den Verstand frißt – das war seine Ansicht.
    »Gut!« sagte er laut. »Denk hundertmal an Mischa, aber handle ein einziges Mal vernünftig für dein Kind! Und dieses eine Mal ist der Flug nach Batkit!«
    »Wenn Mischa mitfliegt, ist alles gut«, sagte sie ruhig.
    »Das ist unmöglich! Mit welcher Begründung soll ich meinen Trupp verlassen?«
    »Ich spritze Ihnen eine Schüttellähmung, daß allen Zuschauern der Atem stockt!« schrie Dr. Plachunin. »Der eine kann nicht, die andere will nicht, und die Zeit läuft uns davon. Da soll man nicht aus der Haut fahren! Natalia …«
    »Nichts ohne Mischa!« sagte sie laut und fest.
    »Ist das dein letztes Wort?«
    »Ja.«
    Dr. Plachunin fuhr zu dem Popen herum, der am Tisch saß und ein Wurstbrot verzehrte. »Verdammt, Tigran Rassulowitsch, sagen Sie doch auch einmal etwas! Gibt es in der Bibel für solche Situationen keinen Spruch?«
    »Das Weib folge dem Manne, steht da. Aber das paßt jetzt gar nicht!«
    »Wahrhaftig nicht. Und sonst haben Sie nichts auf Lager?«
    »Die Liebe höret nimmer auf …«
    »Unsinn! gibt es keinen Spruch über die Vernunft?«
    »Nein. Nur über den Glauben …«
    »Ich glaube …«, sagte Natalia plötzlich. »Ja, jetzt glaube ich an Gott. Wenn er sagt: Die Liebe höret nimmer auf – dann versteht er mich!«
    »Michail!« Dr. Plachunin rang die Hände. »Sie sitzen da neben Ihrer Frau und schweigen. Sie sind doch ein vernünftiger Mensch …«
    »Soll ich sie betäuben, damit man sie in den Hubschrauber trägt?«
    »Was nützt das?« Natalia lächelte die Männer an, und es war soviel Sonne in ihren Augen, soviel Seligkeit, daß jetzt auch Dr. Plachunin kapitulierte. »Ich würde von Batkit zu Fuß zurück nach Satowka laufen. Ich kenne die Taiga besser als ihr alle …«
    In der Nacht gelang es Tigran und Dr. Plachunin, unbemerkt das Haus durch die Hintertür zu verlassen und zur Kirche zu rennen. Ihre Spuren verwischte der Wind.
    »Morgen früh läute ich die Glocke!« sagte Tigran, als sie schwer atmend im Wohnzimmer des Popen saßen. Es war eisig kalt, der Ofen war längst

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