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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Frauen zu rühren imstande war. Nach drei in urbaner Einsamkeit zugebrachten Jahren, in denen er verzweifeltnach der Liebe Ausschau gehalten hatte, entschied er sich, an einem
Speed-Dating
teilzunehmen. So würde er sieben Frauen kennenlernen, mit denen er sich je sieben Minuten unterhalten durfte. Für jemanden wie ihn eine unendlich kurze Zeit: Um eine Kostprobe des anderen Geschlechts dahin zu bringen, ihn auf seinem schmalen Lebensweg zu begleiten, war mindestens ein Jahrhundert vonnöten, so seine Überzeugung. Dennoch geschah etwas Eigenartiges; gleich bei der ersten Begegnung hatte er das Gefühl, dass das Mädchen ganz auf seiner Wellenlänge lag. Es hieß Alice[ 1 ] und arbeitete in einer Apotheke[ 2 ], wo sie gelegentlich auch Kosmetikworkshops veranstaltete[ 3 ]. Eigentlich war das Ganze recht einfach: Die Situation war ihnen beiden derart peinlich, dass sie sie entspannt angehen konnten. Ihre Begegnung gestaltete sich also furchtbar unkompliziert, und so trafen sie sich nach den Kennenlernrunden wieder, um die sieben Minuten auszudehnen. Aus den Minuten wurden Tage, dann Monate.
    Doch ihre Liebe überdauerte kein Jahr. Markus mochte Alice wahnsinnig gern, aber er liebte sie nicht. Und vor allen Dingen begehrte er sie nicht hinreichend. Welch entsetzliches Problem: Da lernte er einmal eine anständige Frau kennen, schon war er partout nicht in sie verliebt. Sind wir auf immerzur Unvollkommenheit verdammt? In den Wochen ihres Zusammenseins sammelte er Erfahrungen für das Beziehungsleben. Er entdeckte seine Stärken und sein Talent, die Zuneigung eines anderen zu gewinnen. Genau, Alice war ganz verrückt nach ihm. Für jemanden, der bis dahin nur die Mutterliebe gekannt hatte (und vielleicht noch nicht einmal die), war das geradezu beunruhigend. Markus hatte etwas sehr Sanftmütiges an sich, das auf einfache Weise berührend war, eine Mischung aus beruhigender Stärke und tröstender Schwäche. Und eben aufgrund dieser Schwäche schreckte er vor dem Unvermeidlichen zurück, davor, Alice zu verlassen. Eines Morgens tat er es dennoch. Der Kummer der jungen Frau bereitete ihm ungemein heftige Qualen. Die vielleicht heftiger waren als die ihrigen. Obwohl er wusste, dass es die richtige Entscheidung war, musste er weinen. Er wählte die Einsamkeit, ehe der Graben, der sich zwischen ihren Herzen auftat, größer wurde.
    Das war also das zweite Mal, dass er vor einer Frau weinte.
    Seit knapp zwei Jahren war in seinem Leben nichts mehr passiert. Manchmal trauerte er Alice hinterher. Vor allem, als er sich wieder beim
Speed-Dating
versuchte, was ausgesprochen enttäuschend verlief, um nicht zu sagen demütigend, da manche Mädchen sich nicht einmal die Mühe machten, mit ihm zu reden. Er hatte daraufhin beschlossen, nicht mehr hinzugehen. Hatte er vielleicht sogar einfach die Hoffnung auf ein Leben zu zweit aufgegeben? Zeitweilig hatte er das Interesse daran verloren. Es gab schließlich Millionen von Singles.Er konnte auf eine Frau verzichten. Doch das sagte er sich, um sich zu beschwichtigen, um sich nicht vor Augen zu führen, wie unglücklich er in seiner Lage war. Er sehnte sich so nach einem weiblichen Körper, und zuweilen glaubte er, gleich platzen zu müssen, wenn er daran dachte, dass ihm all das von nun an sicherlich verwehrt bleiben würde. Dass sein Visum für den Zugang zur Schönheit für immer abgelaufen war.
    Und plötzlich war Nathalie aufgetaucht und hatte ihn geküsst. Seine Vorgesetzte, die zugleich ganz eindeutig die Quelle seiner erotischen Phantasien war. Anschließend hatte sie ihm erklärt, dass das gar nicht stattgefunden habe. Nun gut, er musste sich bloß damit abfinden. Letztlich war das aber nicht so schlimm. Geweint hatte er trotzdem. Ja, er hatte Tränen in den Augen gehabt, worüber er sehr verwundert war. Hatte
unvorhersehbare
Tränen geweint. War er so zerbrechlich? Nein, das nicht. Er hatte schon weitaus schwierigere Situationen überstanden. Dieser Kuss hatte ihn lediglich in besonderem Maße gerührt; was natürlich an Nathalies Schönheit lag, aber auch an der Verrücktheit ihrer Anwandlung. Nie zuvor hatte ihn jemand – ohne mit seinen Lippen einen Termin vereinbart zu haben – einfach so geküsst. Dieser Zauber hatte ihn zu Tränen gerührt. Und nun: zu den bitteren Tränen der Enttäuschung.
     
     
    1 Das ist komisch: Normalerweise trifft man Mädchen, die Alice heißen, nicht bei solchen Partnervermittlungsveranstaltungen an. Alices finden im Allgemeinen eher leicht

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