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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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hasste er Theater). Etwas besonders Aufregendes war nicht dabei. Er hatte Angst, etwas vorzuschlagen, das entweder zu pompös oder nicht pompös genug erschien. Mit anderen Worten, er hatte keine Ahnung, weder was ihr gefallen könnte noch was in ihr vorging. Möglicherweise wollte sie ihn gar nicht wiedersehen. Sie hatte sich bereit erklärt, einmal mit ihm essen zu gehen. Vielleicht sollte das alles sein. Sie hatte ihren Beitrag dazu geleistet, dass der Abend gelang. Und nunwar es vorbei. Ein Versprechen gilt nur für die Zeit des Versprechens. Aber immerhin hatte sie ihm für den schönen Abend gedankt. Genau, sie hatte das Wort «schön» benutzt. Markus ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. Das war doch schon was. Ein schöner Abend. Ebenso hätte sie schreiben können: «ein angenehmer Abend», aber nein, sie hatte lieber «ein schöner Abend» geschrieben. «Schön», das war schön. Wirklich, was für ein schöner Abend. Man wähnte sich in großen vergangenen Zeiten, die Frauen trugen damals lange Kleider, man fuhr in Kutschen … «Wo bin ich denn überhaupt mit meinen Gedanken?», regte er sich plötzlich auf. Er musste etwas tun und aufhören, so vor sich hin zu träumen. Richtig, dieses «schön» war schön und gut, aber jetzt musste es weitergehen, er musste schön am Ball bleiben, sonst würde er mit schön leeren Händen dastehen. Oh, er war so verzweifelt. Es fiel ihm rein gar nichts ein. Die Leichtigkeit des gestrigen Abends hatte diesen einen Abend nicht überdauert. Eine Selbsttäuschung. Er kehrte zurück in sein jämmerliches Dasein eines Mannes ohne Eigenschaften, eines Mannes, dem nichts einfiel, um eine zweite Verabredung mit Nathalie auf die Beine zu stellen.
    Es klopfte.
    Markus sagte «herein». Es erschien das Wesen, das angegeben hatte, einen schönen Abend mit ihm verbracht zu haben. Tatsächlich, vor ihm stand Nathalie, ganz real.
    «Na, wie geht’s? Stör ich Sie? Sie wirken sehr konzentriert.»
    «Öh … nein … Ja, mir geht’s gut.»
    «Ich wollte Sie fragen, ob Sie morgen Abend mit mir ins Theater gehen … Ich habe zwei Karten … wenn Sie also …»
    «Ich liebe Theater. Mit dem größten Vergnügen.»
    «Wunderbar. Bis morgen Abend also.»
    Er hauchte gleichfalls ein «bis morgen Abend», doch zu spät. Seine Worte schwebten verunsichert im Raum, denn es war kein Gehör mehr zugegen, das sie hätten finden können. Jede einzelne seiner Zellen bebte vor massivem Glück. Und im Innern dieses verzückten Königreichs hüpfte sein Herz vor Freude.
    Seltsamerweise stimmte das Glück ihn ernst. In der Metro beobachtete er die Leute in den Abteilen, all diese im Alltagstrott festgefahrenen Menschen, und hatte das Gefühl, ihnen nicht wirklich fremd zu sein. Er wollte sich nicht setzen und dachte, dass er die Frauen mehr denn je liebte. Zu Hause angekommen, spulte er seine eingespielten Abläufe ab. Aber er hatte eigentlich gar keine Lust zu Abend zu essen. Er legte sich aufs Bett und versuchte, einige Seiten zu lesen. Dann löschte er das Licht. Nur siehe da: Er konnte nicht schlafen, so wie er überhaupt seit Nathalies erstem Kuss fast kein Auge zugetan hatte. Sie hatte ihn um den Schlaf gebracht.

 
60
    Anwendungsgebiete von Guronsan
    Vorübergehende Erschöpfungszustände bei Erwachsenen.

 
61
    Der Tag ging schnell herum. Es gab sogar eine Teambesprechung, die ganz nach dem üblichen Muster verlief, und niemand ahnte, dass Nathalie am Abend mit Markus ins Theater gehen würde. Für Markus ein recht wohliges Gefühl. Beschäftigte haben es gern, wenn sie ein Geheimnis hüten können, unter der Hand Bündnisse schließen, ein Doppelleben führen, von dem keiner etwas mitbekommt. Das verleiht ihrem Verhältnis zum Betrieb Würze. Nathalie hatte die Fähigkeit entwickelt, ihre Persönlichkeit zu spalten. Der Schicksalsschlag hatte sie in mancherlei Hinsicht immunisiert. Das heißt, sie konnte mechanisch eine Besprechung leiten und dabei fast vergessen, dass der Tag in einen Abend mündete. Markus hätte durchaus gern in Nathalies Blick eine besondere Zuwendung zu ihm, ein Zeichen des stillen Einverständnisses entdeckt, doch das gehörte anscheinend nicht hierher.Chloé erging es ähnlich, sie hätte es toll gefunden, wenn den anderen hin und wieder aufgefallen wäre, dass sie zu ihrer Vorgesetzten eine privilegierte Beziehung unterhielt. Sie war die Einzige, die Nathalie in Augenblicken erlebte, die in eine Kategorie fielen, in der man sich genauso gut hätte duzen

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