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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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sie zu begrüßen. Ihr war nie aufgefallen, dass er so groß war. Man muss wohl festhalten, dass im Büro die Belegschaft durch die Auslegeware kleiner erschien. Draußen wirkten alle größer. Dieser erste Eindruck von Größe sollte ihr lange im Gedächtnis haften bleiben.
    «Danke, dass Sie gekommen sind», konnte Markus nicht umhin zu sagen.
    «Bitte …»
    «Nein … im Ernst, ich weiß doch, dass Sie viel Arbeit haben … besonders zurzeit … mit der Akte 114 …»
    Sie warf ihm einen Blick zu.
    Er lachte verlegen.
    «Dabei hatte ich mir vorgenommen, nicht von den Akten zu reden … meine Güte, ich bin so lächerlich …»
    Nun lächelte auch Nathalie. Zum ersten Mal seit dem Tod von François befand sie sich in einer Situation, in der sie jemanden beruhigen musste. Das würde ihr guttun. Seine Verlegenheit hatte etwas Herzergreifendes. Sie erinnerte sich an das Abendessen mit Charles, an die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, im Vergleich dazu war ihr jetzt wohler. In Anbetracht der Aussicht auf ein Abendessen mit einem Mann, der sie ansah wie ein Politiker, der seinen Sieg bei einer Wahl verkündete, zu der er gar nicht vorgeschlagen war.
    «Reden wir lieber nicht von der Arbeit», sagte sie.
    «Worüber reden wir denn? Über unsere Interessen? Interessen sind prima als Gesprächseinleitung.»
    «Hm … na ja, das ist ein bisschen komisch, wenn man so überlegt, worüber man sich unterhalten könnte.»
    «Ich finde, die Suche nach einem Gesprächsthema ist ein gutes Gesprächsthema.»
    Ihr gefiel dieser letzte Satz und die Art, wie er ihn gesagt hatte. Sie hielt fest:
    «Sie sind ja eigentlich ganz lustig.»
    «Danke. Mache ich sonst einen so finsteren Eindruck?»
    «Ein bisschen … ja», meinte sie mit einem Lächeln.
    «Reden wir lieber wieder von den Interessen. Ich glaube, das ist besser.»
    «Ich werd Ihnen was sagen. Ich denke eigentlich gar nicht mehr darüber nach, was mich interessiert und was nicht.»
    «Darf ich Ihnen eine Frage stellen?»
    «Ja.»
    «Haben Sie einen Hang zur Nostalgie?»
    «Nein, ich finde nicht.»
    «Das kommt bei Nathalies nicht häufig vor.»
    «Ach wirklich?»
    «Ja, Nathalies haben einen deutlichen Hang zur Nostalgie.»
    Wieder musste sie lächeln. Das entsprach nicht mehr ihrer Gewohnheit. Doch die Worte dieses Mannes hatten oft etwas Verwirrendes. Man konnte nie wissen, was als Nächstes kommen würde. Sie fand, die Wörter, die aus dem Innernseines Kopfes nach draußen drangen, waren wie Lottokugeln. Hatte er noch weitere sie betreffende Theorien auf Lager? Die Nostalgie. Sie stellte sich ernstlich die Frage nach ihrem Verhältnis zur Nostalgie. Durch Markus war sie plötzlich auf Bilder ihrer Vergangenheit gestoßen. Unversehens erschien ein Sommer, sie war acht Jahre alt. Damals war sie mit ihren Eltern nach Amerika gereist und zwei herrliche Monate lang durch die weiten Landschaften des Westens gezogen. Diese Ferien hatten im Zeichen einer Schwärmerei gestanden: Der Schwärmerei für PEZ. Die kleinen Bonbons, die in den kleinen Figuren stecken. Man drückt bloß oben drauf, und schon bietet die Figur ein Bonbon feil. So ein Ding machte das Wesen eines Sommers aus. Danach hatte sie diese Figuren nie wieder gesehen. Diese Erinnerung rief Nathalie in dem Moment wach, als der Kellner kam.
    «Haben Sie sich entschieden?», fragte er.
    «Ja. Wir nehmen zwei Mal Spargelrisotto. Und zum Dessert … wollen wir PEZ», gab Markus bekannt.
    «Was?»
    «PEZ.»
    «Wir haben kein … PEZ, Monsieur.»
    «Schade», schloss Markus.
    Leicht gereizt machte sich der Kellner davon. Tief in ihm drin verliefen zwei geradlinige Parallelen, sein Geschäftssinn und sein Sinn für Humor. Er verstand nicht, was eine solche Frau mit einem solchen Mann zu schaffen hatte. Bestimmt produzierte er Kinofilme, und sie war Schauspielerin. Es musste einen beruflichen Hintergrund haben, wenn sie mit einem derart schrägen Vogel essen ging. Und was war das füreine Geschichte mit dem «Bez»? War das jetzt wieder so eine neumodische Abkürzung? Für Bezahlen vielleicht? Solche Anspielungen konnte er gar nicht leiden. Er kannte diese Sorte von Gästen nur zu gut, die ständig das Bedienungspersonal herabwürdigten. So würde das nicht laufen.
    Aus Nathalies Sicht nahm der Abend eine charmante Wendung. Markus amüsierte sie.
    «Wissen Sie, das ist jetzt erst das zweite Mal in drei Jahren, dass ich ausgehe.»
    «Wollen Sie zusätzlich den Druck auf mich erhöhen?»
    «Ach was, alles wird

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