Nathan der Weise
…
TEMPELHERR . O ja! hier waren,
Hier faulen des Geschlechts schon mehrere.
Mein Oheim selbst, – mein Vater will ich sagen, –
1380
Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich
Je mehr und mehr?
NATHAN . O nichts! o nichts! Wie kann
Ich Euch zu sehn ermüden?
TEMPELHERR . Drum verlass
Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand
Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte.
Ich fürcht ihn, Nathan. Lasst die Zeit allmählig.
Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.
(Er geht.)
NATHAN
(der ihm mit Erstaunen nachsieht)
.
»Der Forscher fand nicht selten mehr, als er
Zu finden wünschte.« – Ist es doch, als ob
In meiner Seel’ er lese! – Wahrlich ja;
1390
Das könnt auch mir begegnen. – Nicht allein
Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme. So,
Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf;
Trug Wolf sogar das Schwert im Arm’, strich Wolf
Sogar die Augenbraunen mit der Hand,
Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. –
Wie solche tiefgeprägte Bilder doch
Zuzeiten in uns schlafen können, bis
Ein Wort, ein Laut sie weckt. – Von Stauffen! –
Ganz recht, ganz recht; Filnek und Stauffen. –
1400
Ich will das bald genauer wissen; bald.
Nur erst zum Saladin. – Doch wie? lauscht dort
Nicht Daja? – Nun so komm nur näher, Daja.
Achter Auftritt
DAJA. NATHAN .
NATHAN .
Was gilt’s? nun drückt’s euch beiden schon das Herz,
Noch ganz was anders zu erfahren, als
Was Saladin mir will.
DAJA . Verdenkt Ihr’s ihr?
Ihr fingt soeben an, vertraulicher
Mit ihm zu sprechen: als des Sultans Botschaft
Uns von dem Fenster scheuchte.
NATHAN . Nun so sag
Ihr nur, dass sie ihn jeden Augenblick
Erwarten darf.
DAJA . Gewiss? gewiss?
1410
NATHAN . Ich kann
Mich doch auf dich verlassen, Daja? Sei
Auf deiner Hut; ich bitte dich. Es soll
Dich nicht gereuen. Dein Gewissen selbst
Soll seine Rechnung dabei finden. Nur
Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur
Erzähl und frage mit Bescheidenheit,
Mit Rückhalt …
DAJA . Dass Ihr doch noch erst, so was
Erinnern könnt! – Ich geh; geht Ihr nur auch.
Denn seht! ich glaube gar, da kömmt vom Sultan
1420
Ein zweiter Bot’, Al-Hafi, Euer Derwisch.
(Geht ab.)
Neunter Auftritt
NATHAN. AL-HAFI .
AL-HAFI . Ha! ha! zu Euch wollt ich nun eben wieder.
NATHAN . Ist’s denn so eilig? Was verlangt er denn
Von mir?
AL-HAFI . Wer?
NATHAN . Saladin. – Ich komm, ich komme.
AL-HAFI . Zu wem? Zum Saladin?
NATHAN . Schickt Saladin
Dich nicht?
AL-HAFI . Mich? nein. Hat er denn schon geschickt?
NATHAN . Ja freilich hat er.
AL-HAFI . Nun, so ist es richtig.
NATHAN . Was? was ist richtig?
AL-HAFI . Dass … ich bin nicht schuld;
Gott weiß, ich bin nicht schuld. – Was hab ich nicht
Von Euch gesagt, gelogen, um es abzuwenden!
NATHAN . Was abzuwenden? Was ist richtig?
1430
AL-HAFI . Dass
Nun Ihr sein Defterdar geworden. Ich
Betaur’ Euch. Doch mit ansehn will ich’s nicht.
Ich geh von Stund an; geh, Ihr habt es schon
Gehört, wohin; und wisst den Weg. – Habt Ihr
Des Wegs was zu bestellen; sagt: ich bin
Zu Diensten. Freilich muss es mehr nicht sein,
Als was ein Nackter mit sich schleppen kann.
Ich geh, sagt bald.
NATHAN . Besinn dich doch, Al-Hafi.
Besinn dich, dass ich noch von gar nichts weiß.
Was plauderst du denn da?
1440
AL-HAFI . Ihr bringt sie doch
Gleich mit, die Beutel?
NATHAN . Beutel?
AL-HAFI .
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