Nathan der Weise
gedrungen fühlen, einen jeden,
Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. –
Kaum können sie auch anders. Denn ist’s wahr,
Dass dieser Weg allein nur richtig führt:
Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
Auf einem andern wandeln sehn, – der ins
Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
Es müsste möglich sein, denselben Menschen
Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. –
Auch ist’s das nicht, was endlich laute Klagen
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Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt
Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt’s doch
Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
Von wem’s auch sei, gehalten fühlen, dass
Er den Gedanken nicht ertragen kann,
Er müss’ einmal auf ewig uns entbehren!
SITTAH . Sehr wahr!
RECHA . Allein – allein – das geht zu weit!
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Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht
Geduld, nicht Überlegung; nichts!
SITTAH . Was? wem?
RECHA . Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.
SITTAH . Entdeckt? und eben itzt?
RECHA . Nur eben itzt!
Wir nahten, auf dem Weg’ hierher, uns einem
Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand
Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte
Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald
Auf mich. Komm, sprach sie endlich, lass uns hier
Durch diesen Tempel in die Richte gehn !
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Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift
Mit Graus die wankenden Ruinen durch.
Nun steht sie wieder; und ich sehe mich
An den versunknen Stufen eines morschen
Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da
Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen,
Zu meinen Füßen stürzte …
SITTAH . Gutes Kind!
RECHA . Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst
So manch Gebet erhört, so manches Wunder
Verrichtet habe, mich beschwor; – mit Blicken
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Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner
Doch zu erbarmen! – Wenigstens, ihr zu
Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,
Was ihre Kirch’ auf mich für Anspruch habe.
SITTAH . (Unglückliche! – Es ahnte mir!)
RECHA . Ich sei
Aus christlichem Geblüte; sei getauft;
Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! –
Gott! Gott! Er nicht mein Vater! – Sittah! Sittah!
Sieh mich aufs Neu’ zu deinen Füßen …
SITTAH . Recha!
Nicht doch! steh auf! – Mein Bruder kömmt! steh auf!
Siebenter Auftritt
SALADIN
und die
VORIGEN .
SALADIN . Was gibt’s hier, Sittah?
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SITTAH . Sie ist von sich! Gott!
SALADIN . Wer ist’s?
SITTAH . Du weißt ja …
SALADIN . Unsers Nathans Tochter?
Was fehlt ihr?
SITTAH . Komm doch zu dir, Kind! – Der Sultan …
RECHA
(die sich auf den Knieen zu Saladins Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt)
.
Ich steh nicht auf! nicht eher auf! – mag eher
Des Sultans Antlitz nicht erblicken! – eher
Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit
Und Güte nicht in seinen Augen, nicht
Auf seiner Stirn bewundern …
SALADIN . Steh … steh auf!
RECHA . Eh er mir nicht verspricht …
SALADIN . Komm! ich verspreche …
Sei was es will!
RECHA . Nicht mehr, nicht weniger,
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Als meinen Vater mir zu lassen; und
Mich ihm! – Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater
Zu sein verlangt; – verlangen kann. Will’s auch
Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut
Den Vater? nur das Blut?
SALADIN
(der sie aufhebt)
. Ich merke wohl! –
Wer war so grausam denn, dir selbst – dir selbst
Dergleichen in den Kopf zu setzen?
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