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Nathan der Weise

Nathan der Weise

Titel: Nathan der Weise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Textausgabe + Lektüreschlüssel
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gedrungen fühlen, einen jeden,
    Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. –
    Kaum können sie auch anders. Denn ist’s wahr,
    Dass dieser Weg allein nur richtig führt:
    Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
    Auf einem andern wandeln sehn, – der ins
    Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
    Es müsste möglich sein, denselben Menschen
    Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. –
    Auch ist’s das nicht, was endlich laute Klagen
    3600
    Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
    Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt
    Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
    Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
    Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt’s doch
    Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
    Von wem’s auch sei, gehalten fühlen, dass
    Er den Gedanken nicht ertragen kann,
    Er müss’ einmal auf ewig uns entbehren!
    SITTAH . Sehr wahr!
    RECHA .                      Allein – allein – das geht zu weit!
    3610
    Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht
    Geduld, nicht Überlegung; nichts!
    SITTAH .                                                    Was? wem?
    RECHA . Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.
    SITTAH . Entdeckt? und eben itzt?
    RECHA .                                               Nur eben itzt!
    Wir nahten, auf dem Weg’ hierher, uns einem
    Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand
    Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte
    Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald
    Auf mich. Komm, sprach sie endlich, lass uns hier
    Durch diesen Tempel in die Richte gehn !
    3620
    Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift
    Mit Graus die wankenden Ruinen durch.
    Nun steht sie wieder; und ich sehe mich
    An den versunknen Stufen eines morschen
    Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da
    Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen,
    Zu meinen Füßen stürzte …
    SITTAH .                                            Gutes Kind!
    RECHA . Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst
    So manch Gebet erhört, so manches Wunder
    Verrichtet habe, mich beschwor; – mit Blicken
    3630
    Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner
    Doch zu erbarmen! – Wenigstens, ihr zu
    Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,
    Was ihre Kirch’ auf mich für Anspruch habe.
    SITTAH . (Unglückliche! – Es ahnte mir!)
    RECHA .                                                           Ich sei
    Aus christlichem Geblüte; sei getauft;
    Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! –
    Gott! Gott! Er nicht mein Vater! – Sittah! Sittah!
    Sieh mich aufs Neu’ zu deinen Füßen …
    SITTAH .                                                                 Recha!
    Nicht doch! steh auf! – Mein Bruder kömmt! steh auf!
Siebenter Auftritt
    SALADIN
und die
VORIGEN .
    SALADIN . Was gibt’s hier, Sittah?
    3640
    SITTAH .                                              Sie ist von sich! Gott!
    SALADIN . Wer ist’s?
    SITTAH .                    Du weißt ja …
    SALADIN .                                              Unsers Nathans Tochter?
    Was fehlt ihr?
    SITTAH .            Komm doch zu dir, Kind! – Der Sultan …
    RECHA
(die sich auf den Knieen zu Saladins Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt)
.
    Ich steh nicht auf! nicht eher auf! – mag eher
    Des Sultans Antlitz nicht erblicken! – eher
    Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit
    Und Güte nicht in seinen Augen, nicht
    Auf seiner Stirn bewundern …
    SALADIN .                                              Steh … steh auf!
    RECHA . Eh er mir nicht verspricht …
    SALADIN .                                              Komm! ich verspreche …
    Sei was es will!
    RECHA .                 Nicht mehr, nicht weniger,
    3650
    Als meinen Vater mir zu lassen; und
    Mich ihm! – Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater
    Zu sein verlangt; – verlangen kann. Will’s auch
    Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut
    Den Vater? nur das Blut?
    SALADIN
(der sie aufhebt)
.     Ich merke wohl! –
    Wer war so grausam denn, dir selbst – dir selbst
    Dergleichen in den Kopf zu setzen?

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