Nathan der Weise
Held, wie du!
(Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.)
Komm, liebes Mädchen,
Komm! Nimm’s mit ihm nicht so genau. Denn wär
Er anders; wär er minder warm und stolz:
Er hätt es bleiben lassen, dich zu retten.
Du musst ihm eins fürs andre rechnen. – Komm!
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Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte!
Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an!
Und wenn er dich verschmäht; dir’s je vergisst,
Wie ungleich mehr in diesem Schritte du
Für ihn getan, als er für dich … Was hat
Er denn für dich getan? Ein wenig sich
Beräuchern lassen! ist was Rechts! – so hat
Er meines Bruders, meines Assad, nichts!
So trägt er seine Larve, nicht sein Herz.
Komm, Liebe …
SITTAH . Geh! geh, Liebe, geh! Es ist
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Für deine Dankbarkeit noch immer wenig;
Noch immer nichts.
NATHAN . Halt Saladin! halt Sittah!
SALADIN . Auch du?
NATHAN . Hier hat noch einer mitzusprechen …
SALADIN . Wer leugnet das? – Unstreitig, Nathan, kömmt
So einem Pflegevater eine Stimme
Mit zu! Die erste, wenn du willst. – Du hörst,
Ich weiß der Sache ganze Lage.
NATHAN . Nicht so ganz! –
Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer;
Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin,
Doch auch vorher zu hören bitte.
SALADIN . Wer?
NATHAN . Ihr Bruder!
SALADIN . Rechas Bruder?
NATHAN . Ja!
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RECHA . Mein Bruder?
So hab ich einen Bruder?
TEMPELHERR
(aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend)
. Wo? wo ist
Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt
Ihn hier ja treffen.
NATHAN . Nur Geduld!
TEMPELHERR
(äußerst bitter).
Er hat
Ihr einen Vater aufgebunden: – wird
Er keinen Bruder für sie finden?
SALADIN . Das
Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger
Verdacht war über Assads Lippen nicht
Gekommen. – Gut! fahr nur so fort!
NATHAN . Verzeih
Ihm! – Ich verzeih ihm gern. – Wer weiß, was wir
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An seiner Stell’, in seinem Alter dächten!
(Freundschaftlich auf ihn zugehend.)
Natürlich, Ritter! – Argwohn folgt auf Misstraun! –
Wenn Ihr mich Euers
wahren
Namens gleich
Gewürdigt hättet …
TEMPELHERR . Wie?
NATHAN . Ihr seid kein Stauffen!
TEMPELHERR . Wer bin ich denn?
NATHAN . Heißt Curd von Stauffen nicht!
TEMPELHERR . Wie heiß ich denn?
NATHAN . Heißt Leu von Filnek.
TEMPELHERR . Wie?
NATHAN . Ihr Stützt?
TEMPELHERR . Mit Recht! Wer sagt das?
NATHAN . Ich; der mehr,
Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes
Euch keiner Lüge.
TEMPELHERR . Nicht?
NATHAN . Kann doch wohl sein,
Dass jener Nam’ Euch ebenfalls gebührt.
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TEMPELHERR . Das sollt ich meinen! – (Das hieß Gott ihn sprechen!)
NATHAN . Denn Eure Mutter – die war eine Stauffin.
Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,
Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen,
Als, von dem rauen Himmel dort vertrieben,
Sie wieder hierzulande kamen: – Der
Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindes statt
Vielleicht Euch angenommen haben! –
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