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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Kraft genommen und sie in das Reservat getrieben hatte.
    Wollte man heute verschwinden, war alles sehr viel schwieriger. Das Reisen, das Verstecken, der Beginn eines neuen Lebens, wenn das alte zu verräterisch geworden war. Ohne die Hilfe des Rates wäre er längst an der Komplexität der heutigen Zeit gescheitert. Oder er hätte sich in irgendeinem einsamen Winkel der Welt versteckt, lebend als Eremit und darauf hoffend, unentdeckt zu bleiben.
    Nathaniel gähnte, benommen vom monotonen Rauschen der Maschine. Kaum versuchte er, zu schlafen, sah er sie wieder vor sich. Kampflustig funkelten Josephines Augen, während sie versuchte, sich gegen die Macht seines Geistes zu wehren. Sie war stark. Überraschend stark. Eine Wildkatze, die nur dem oberflächlichen Betrachter verletzlich erschien. Er würde sie niemals zähmen. Oh nein, viel lieber wollte er seine Finger über ihren seidigen Pelz gleiten lassen, um das Schnurren der Wildheit darunter zu spüren. Er würde mit ihrer Leidenschaft spielen, sich hin und wieder kratzen und beißen lassen, um am Ende ihr Fauchen mit seinen Küssen zu ersticken.
    Verlangend zog die Müdigkeit an seiner Wahrnehmung und focht einen Kampf mit seiner Sehnsucht aus. Er musste endlich Ruhe finden. San Francisco war knapp zweitausend Kilometer von dem Grab entfernt, was die Notwendigkeit mit sich brachte, achtsam mit seiner Kraft umzugehen. Nathaniel begann, zu meditieren. Müdigkeit und monotones Rauschen machten es ihm leicht, die Wirklichkeit an sich vorbeifließen zu lassen und in eine Ebene abzutauchen, in der ihn sanfte, zeitlose Existenz umfing.
    Froh, das Getümmel des Flughafens hinter sich lassen zu können, stieg Nathaniel in das nächstbeste Taxi und versuchte sich in der Aussprache des Namens des Krankenhauses, in dem der Grund für seine Reise lag. Dieser Grund hieß Joseph Murdock, war stellvertretender Vorsitzender des Stammesrates und komatöser Besitzer eines jahrelang unentdeckt gewachsenen Hirntumors, der laut Meinung der Ärzte unweigerlich zum Tod führen würde.
    Zweifellos würde es ein Tag werden, an dem ihn viele Erinnerungen einholten. Denn Joseph war nicht nur einer der wichtigsten Männer im Stamm, sondern zugleich Vater von Jeremy, einem Jungen, um den sich Nathaniel jahrelang gekümmert hatte, als sei er sein eigener Sohn. Während Joseph diverse Schreibtische hütete, bis über beide Ohren zugemüllt mit Stress und Terminen, war Nathaniel mit Jeremy angeln und jagen gegangen. Er hatte ihm während tagelanger Wanderungen gezeigt, wie man in der Wildnis überlebt und dem Jungen die Legenden seiner Vorfahren nahe gebracht. In Jeremy hatte er einen Ersatz für Cuncana gefunden. Einen Halt in seinem Leben. Ein kleines Stück Normalität. Bis Jeremy nach San Francisco gegangen war, um Jura zu studieren.
    „Da wären wir, Sir.“ Mit quietschenden Reifen hielt der Taxifahrer am Straßenrand und streckte seine Hand aus. Ein infantiles Glucksen entrang sich seiner Kehle, als Nathaniel die entsprechende Summe samt einem großzügigen Trinkgeld hineinfallen ließ. „N’schönen Tag wünsch ich Ihnen. Hoffe, Sie haben keine nahen Angehörigen da drin.“
    Er deutete auf das riesige, im Sonnenlicht rotgolden leuchtende Backsteingebäude.
    „Warum sollte ich sonst den weiten Weg auf mich nehmen?“, gab Nathaniel trocken zurück.
    „Da haben Sie wohl recht.“ Der Fahrer tippte sich an den Hut und gab Gas, kaum dass sein Passagier ausgestiegen war. Schlingernd jagte er seinen maroden Wagen um die nächste Straßenecke und verabschiedete sich mit einem markerschütternden Quietschen aus Nathaniels Wahrnehmung.
    Wenn er Glück hatte, war Joseph bereits aus der Intensivstation entlassen wurden. War das nicht der Fall, würde eine Menge Manipulation vonnöten sein. Zumindest, sofern hier ähnliche Zustände herrschten wie in jener Klinik, die er letztes Jahr in New York aufgesucht hatte.
    „Ich möchte zu Joseph Murdock, bitte.“ Nathaniel setzte sein charmantestes Lächeln auf und lehnte sich gerade so leicht über den Tresen, dass die dahintersitzende Frau den Eindruck von Offenheit und Sympathie gewann. „Können Sie mir sagen, in welchem Zimmer er liegt?“
    Die Frau nickte, tippte etwas in den Computer und errötete zart. „Da haben wir ihn. John Murdock, Zimmer II.3, Komplex 3 auf der 2. Etage. Er wurde heute Morgen dorthin verlegt.“
    Ihr Blick verdüsterte sich, als sie zu ihm aufblickte. Vermutlich hatte ihr der Bildschirm verraten, wie aussichtslos es um

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