Nathaniels Seele
Presse werfen und das trinken, was unten rauskommt.“
„Untersteh dich.“
„Keine Sorge, ich tu’s nicht. Aber auch nur, weil ich nicht mit ansehen will, wie ein wütend brodelnder Hackfleischklumpen zu neuem Leben erwacht. Und jetzt komm. Unsere unerträgliche Attraktivität hält die Empfangsdame nur von ihrer Arbeit ab. Sie ist rot wie ein gekochter Hummer.“
„Du hattest … was?“ Jeremys Verblüffung hätte nicht größer sein können. „Großer Geist! Sag, dass das ein Scherz war.“
„Seit einhundertachtundvierzig Jahren keinen Sex mehr“, flüsterte Nathaniel.
Nervös stocherte er in einem bunten Haufen namens Savory Steak Salat herum. Das Café war angenehm dunkel und in noblem, viktorianischem Stil gehalten. Eine Bar aus Mahagoniholz leuchtete im gedämpften Licht, rote Wände und Holzverkleidungen vermittelten urige Gemütlichkeit. Nathaniel mochte es. Auch das Essen und der Kaffee waren köstlich, was jedoch nichts daran änderte, dass seine Entspannung sich erneut in Wohlgefallen auflöste.
„Du machst Scherze.“ Jeremy schob sich ein Stück seiner Pizza in den Mund, um ungeachtet dessen weiterzureden: „Heißt das, diese Vettel macht dir bei jedem Wegsteck-Versuch einen Strich durch die Rechnung?“
„Ja. Wobei ich mich korrigieren muss. Ich hatte seit einhundertachtundvierzig Jahren keinen freiwilligen Sex mehr.“
„Bitte sag nicht, dass … oh Gott, diese alte Bisonkuh benutzt dich? Das ist widerlich.“
„Nun ja, ich spüre davon nicht viel, weil ich währenddessen meinen Geist aus dem Körper löse.“
„Es ist widerlich“, beharrte Jeremy.
„Sie liebt nicht das Gefäß, sondern seinen Inhalt“, knirschte Nathaniel und betrachtete die Tomate auf seiner Gabel. „Woksapa war immerhin ihr über alles geliebter Mann und sie nicht immer die alte Bisonkuh, die sie jetzt ist. Ich hasse Absá, aber ich weiß auch, dass sie nicht weniger verflucht ist als ich. Sie muss uralt sein. Jahrhunderte. Vielleicht sogar Jahrtausende. Ich weiß von drei Gefäßen, die sie überlebt hat. Mich nicht eingeschlossen.“
„Großer Geist.“ Jeremy schüttelte sich. „Verständnis hin oder her, ich will mir nicht vorstellen, wie diese Schrumpelbirne dir zu Leibe rückt. Bewahre mich vor den Bildern in meinem Kopf. Lieber sehe ich meinem Fußpilz beim Wachsen zu.“
Nathaniel zuckte die Schultern. „Ich bin hart. Wusstest du schon, dass man mich an einem einzigen Abend dreimal ermordet hat? Kehlschnitt, Gewehrkugeln, Galgen. Sterben macht höllische Kopfschmerzen.“
„Mein vollster Respekt, aber das hast du mir schon mindestens fünfmal erzählt.“
„Ich bin ein alter Mann. Mein Gehirn ist nicht mehr das, was es mal war.“
„Mit deinem Gehirn ist alles in Ordnung, Nat. Aber was mich mal interessieren würde: Kannst du Kinder bekommen? Ich meine, Kinder produzieren?“
„Nein.“
„Warum bist du dir so sicher?“
„Weil nicht mehr viel Menschliches an mir ist.“
„Wieso? Du hast zwei Arme, zwei Beine, zwei Augen. Alles rechts und links ist zwei Mal da, alles in der Mitte ein Mal. So, wie es sich gehört.“
Nathaniel lachte. „Erinnerst du dich an den verrückten Kauz aus Oregon, von dem ich dir mal erzählt habe?“
„Dein einziger bleichgesichtiger Freund? Mit dem du nackt in Woodstock gefeiert hast?“
„Genau der. Aber er war nicht nur ein verrückter Kauz, er war nebenbei noch Onkologe. Wir fühlten damals meinem Metabolismus ein bisschen auf den Zahn, und was er herausfand, war niederschmetternd.“
„Was fand er heraus?“ Jeremy war gebannte Aufmerksamkeit und ließ die Gabel mit dem Stück Pizza vor seinem Mund schweben. „Sag schon.“
„Die Fachausdrücke habe ich mir nicht behalten, aber im Endeffekt kam heraus, dass mein Blut nicht mehr viel Menschliches an sich hat. Es ist auf eine Weise mutiert, die meinem Freund völlig unbekannt war. Genauso, wie das Material des schwarzen Kalumets. Seine Worte waren, soweit ich mich richtig entsinne: Das Ding ist nicht von dieser Welt. Und du bist das auch nicht mehr.“
„Scheiße“, fasste Jeremy zusammen. „Das bedeutet, du kannst den Geist in dir nicht loswerden, weil er längst mit dir verschmolzen ist.“
„Richtig. Wenn ich ihn irgendwann loswerde, sterbe ich. So wie mein Vorgänger.“
„Mist.“
„Das hat meinen Freund aber nicht davon abgehalten, einen Exorzismus an mir auszuprobieren.“
Jeremy aß das letzte Stück Pizza und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. „Und wie
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