Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
und Euphorie durch ihre Adern. Sie wollte mehr davon. Viel mehr.

     
    Nathaniel lächelte in sich hinein, während er der Welt dabei zusah, wie sie unter einer Wolkendecke verschwand. Josephine hätte ihn vermutlich kaum wiedererkannt. Nicht in dem schwarzen Hemd und dem maßgeschneiderten, schwarzen Anzug, den er sich bei seinem letzten Aufenthalt in Chicago auf Kosten des Rates hatte anfertigen lassen. Nicht mit dem ordentlich gekämmten, von einer schmalen Silberspange zusammengehaltenen Haar. Mit der teuren Armbanduhr an seinem Handgelenk und den schwarzen Lederschuhen, die frisch geputzt glänzten. Das einzig Vertraute wären wohl die Creolen gewesen, denn sie nahm er niemals ab. Sie waren zu sehr zur Gewohnheit geworden und verbanden ihn zudem mit seinem früheren Leben, in dem es Tradition gewesen war, Kindern bald nach der Geburt das erste Ohrloch zu stechen.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Nathaniel sich euphorisch. Wirklich lebendig und auf eine herrliche Weise gepeinigt. Diese Gefühle teilte er seiner Umwelt in einem permanenten Lächeln mit, das den Blick so manches Anwesenden einfing und ihn wohl darüber nachdenken ließ, was der Grund hinter dieser entzückten Abwesenheit war.
    Während Nathaniel an seinem Kaffee nippte und sich vom Dröhnen des Flugzeugs einlullen ließ, dachte er an Josephines Lippen. Er dachte an ihren Körper und dessen zarte Gegenwehr, roch den Kräuterduft ihres Shampoos, nahm das Zittern der kleinen, beinahe kindlichen Hände wahr, die sich auf seinen Rücken gelegt hatten und schließlich in seinem Haar eingetaucht waren. Zuerst scheu, dann unverhohlen nach dem verlangend, was sich ein Teil von ihr noch immer verbot. Er dachte an die Wärme ihrer Haut … und schauderte wohlig. So lange hatte er den Rausch dieser Körperlichkeit nicht mehr kosten dürfen. Aber warum durfte er es jetzt?
    Steckte ein perfider Plan dahinter oder hatte Absá begriffen, dass er ihr niemals gehören würde? Ob sie ihm mehr als einen Kuss erlauben würden? Vielleicht sogar viel mehr?
    Nathaniel seufzte, denn eine alte Erinnerung teilte ihm mit, wie köstlich es sich anfühlte, den nackten Körper einer Frau zu verwöhnen. Wie es schmeckte, wenn man ihr den Schweiß von den Wangen und den Lippen küsste. Wie es sich anfühlte, sie zu liebkosen. An jeder Stelle ihres vor Sehnsucht bebenden Leibes. Und wie es war, in ihr zu sein. Umschlossen von seidiger Hitze.
    Die Reaktion seines Körpers auf diese Gedanken war überraschend heftig. Überwältigt sank Nathaniel tiefer in seinen Sitz, während ein gewisser Teil von ihm sich anfühlte, als müsse er vor Verlangen bersten. Das Zittern seiner Hände war ein weiterer Beweis. Er musste seine Gedanken dringend unter Kontrolle bringen. Aber nichts war schwieriger, als die schwelende Glut von Geist und Körper niederzuzwingen. Neugierige Blicke zu ignorieren, war dagegen ein Kinderspiel. Früher wären sie ihm unangenehm gewesen und jedem wäre angesichts seiner finsteren Miene klar geworden, dass ihn nur eine hauchdünne Membran von einem Amoklauf trennte. Doch inzwischen hatte er gelernt, sich während seiner Reisen von allem abzuschotten.
    Nathaniel spielte an dem einzigen Ring herum, den er noch trug. Ein unauffälliges silbernes Schmuckstück am Mittelfinger seiner rechten Hand. Während er ihn hin und her drehte, drängte er Josephine erneut an die Wand. Er presste ihren warmen Körper gegen das Holz, zwang sie zu einem Kuss und umklammerte mit seinen Händen ihre Taille, die sich so wunderbar schmal und verletzlich anfühlte. Er fetzte ihr die Kleider vom Leib, hob sie hoch und …
    Seine Erregung pochte schmerzhaft. Riss ihn zurück in die Wirklichkeit. Er drückte seine Ledertasche an sich, um seine Gedanken auf deren Inhalt zu fokussieren. Wie viel hatte es den Stamm wohl gekostet, ihm die für seine Reisen nötigen Papiere zu besorgen? Irgendwann würden es ihm die immer schärfer werdenden Kontrollen unmöglich machen, unerkannt zu bleiben, und spätestens dann würde der Rat gezwungen sein, ihm die verdiente Ruhe zu gönnen. Nathaniel dachte daran, dass er früher einfach auf sein Pferd gesprungen und auf den Horizont zugeritten war. Grenzen hatte es keine gegeben, allenfalls den einen oder anderen Stamm, dem es nicht gefiel, wenn man seine Jagdgründe kreuzte. Hatte das Blut des Nomaden danach verlangt, dem Ruf der Ferne zu gehorchen, dann waren sie ihm einfach gefolgt. Bis zu jenem Tag, an dem der immerwährende Krieg ihnen die letzte

Weitere Kostenlose Bücher