Nathaniels Seele
Josephine danach schrie, seine Nähe zu spüren, wich sie vor ihm zurück.
„Nimm dir, was du willst.“ Hatte er das wirklich gesagt? Nein, geraunt. Dunkel und lockend. Er lehnte den Kopf gegen die vor Nässe glänzenden Felsen. „Warum tust du es nicht?“
Josephine schwindelte. Sie gab es auf, ruhig atmen zu wollen, sondern rang mit einer an Verzweiflung grenzenden Nervosität nach Luft.
„Was willst du?“, schnurrte Nathaniel. „Sag es einfach. Oder zeig es mir.“
„Ich …“
„Sag es mir.“
Josephine starrte auf seine Brust, die sich langsam hob und senkte. Sein Atem ging schwer. Sie beide waren nackt. Wie leicht wäre es, ihm zu zeigen, was sie wollte. Wie leicht wäre es, sich auf ihn zu setzen, sich an seinen Körper zu schmiegen, ihn in sich aufzunehmen und … großer Gott!
„Du bist wunderschön, Tacincala.“ Seine Stimme klang wie ein Seufzen.
„Was?“ Josephine biss sich auf die Unterlippe.
„Ich sagte, dass du wunderschön bist.“
„Wirklich?“ Blut schoss in ihre Wangen. Sie wusste, dass in diesen Augenblicken hässliche Flecken ihre Haut überzogen, und dass es lange dauern würde, bis sie verschwanden. Daniel hatte ihr oft Komplimente gemacht. Sie hätte daran gewöhnt sein sollen, doch hier und jetzt, aus dem Mund dieses Mannes, war es etwas vollkommen anderes. Warum? Warum nur fühlte sie sich in Nathaniels Nähe derart entblößt und gierte dennoch in einem Maße nach ihr, dass es sie erschütterte? Zu gern hätte sie ihm gesagt, dass er verschwinden solle. Für immer. Denn die mühsam aufgebaute Ordnung in ihrem Leben zerbrach unter seinem Blick und wurde von seiner Nähe restlos vernichtet.
Mit verräterischer Hast stieß sie sich von den Felsen ab, schwamm zum Ufer und schlüpfte in ihre Kleidung. Ihr Herzschlag hallte in der allumfassenden Stille der Nacht wider. Als sie ihren tropfenden Zopf auswrang, gesellte sich Nathaniel zu ihr. Seelenruhig zog er seine Unterhose an, nahm die Decke auf und legte sie wie zuvor um seine Schultern.
„Ich sage nichts, das ich nicht auch so meine.“ Nathaniel schritt neben ihr her, als Josephine zu laufen begann. Die Art, wie er es tat, besaß etwas Arrogantes. Etwas unerhört Selbstsicheres. „Ja. Ich finde dich schön.“
„Was heißt Tacincala?“
„Kleines Reh.“
„Ich bin kein kleines Reh“, protestierte sie.
„Aber du erinnerst mich an eins. Deine Augen, deine Art. Deine Verletzlichkeit.“
„Ein Reh ist schwach.“
„Nein, ist es nicht. Ein Wolf, den jeder für stark hält, erwischt ein gesundes Reh niemals. Es ist zu schnell für ihn, zu schlau. Er hat immer das Nachsehen, es sei denn, sein Opfer ist krank oder alt.“
„Was soll mir das jetzt sagen?“
„Dass ich dich Tacincala nennen, und trotzdem für stark halten darf. Du spielst mit mir wie ein junges Reh mit dem alten Wolf. Ausgehungert heftet er sich an seine Fersen, aber immer wieder entwischt es ihm und tanzt leichtfüßig vor ihm her. Alles, was ihm bleibt, ist sein verlockender Duft, der ihm in die Nase steigt und seine Qual ins Unendliche wachsen lässt.“
Josephine glaubte, ihre Beine müssten unter ihr nachgeben. Doch sie lief weiter. Unbeirrt. Während ihres restlichen Weges herrschte Schweigen. Hatten die Grillen jemals so laut gesungen? Ihr Lied schwoll auf und ab wie ein hypnotisierendes Gebet, und als sie die Farm erreichten, übermannte sie das Gefühl, den Druck in ihrem Inneren keine Sekunde länger aushalten zu können. In gespielter Müdigkeit streckte sie ihre Glieder, als Nathaniel die Schiebetür des Pferdestalles öffnete und den Lichtschalter betätigte. Wie schwarz seine Augen waren. Sie durchbohrten sie mit einem Ausdruck des Hungers, und ihr Körper reagierte unvermittelt auf dieses Signal. Noch mehr Hitze, noch mehr Nervosität, hilflos durcheinanderwirbelnde Gedanken, immer kläglicher widersprechende Vernunft. Genüsslich weiteten sich Nathaniels Nasenflügel.
„Pheromone“, raunte er.
„Hm?“
„Lockstoffe. Dein Körper sagt mir, was du dir selbst nicht zu sagen traust.“
Sein Blick wurde noch bohrender. Josephine gewann das Gefühl, als analysiere er sie bis in die letzte Kapillare hinein.
„Du wirst diese Bäume nicht fällen“, sagte er dann. „Du findest einen anderen Weg.“
„Ich tue, was ich für richtig halte“, gab sie zurück, verblüfft, dass er plötzlich wieder dieses Thema aufgriff. „Wie ich schon sagte, das hier ist meine Farm. Hier zählt allein mein Wille.“
„Du wirst dieses
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