Nathaniels Seele
ich. Und gib mir etwas als Dankesopfer.“
Josephine angelte einen roten Stein aus ihrer Hosentasche, den sie seiner Farbe wegen in der Stadt von der Straße aufgesammelt hatte. Sie legte ihn in Jeremys Hand und begann, alle Ängste für diesen Moment ausklammernd, ihre Kleidung abzulegen. Jeans, Hemd, Socken und Schuhe landeten in einem Haufen vor der Schwitzhütte.
„Gut.“ Jeremy betrachtete sie mit unverhohlener Anerkennung. Der alte Mann wiederum lächelte verklärt. „Dann schlüpf rein. Und denke daran: Das Ritual dient dazu, inneren Frieden zu finden, die eigenen Grenzen zu überwinden und sich zu verändern. Sofern Veränderungen nötig sind. Lass es einfach fließen. Du wirst überrascht sein, was du alles ertragen kannst. Und wie stark du dich fühlst, wenn du dem Drängen deines falschen Wesens widerstehst.“
„Aha.“ Josephine fühlte sich, als stünde sie am Ende ihres Lebens. Würde sie noch dieselbe sein, wenn sie aus dieser Tür herauskam?
„Und ganz wichtig: Sei dir der Heiligkeit der Zeremonie bewusst.“ Jeremy hob warnend einen Zeigefinger. „Nimmst du es nicht ernst, bin ich berechtigt, dich deiner Fußsohlen zu entledigen, auf dass sie unsere alten, zahnlosen Frauen über dem Feuer rösten.“
Er gluckste, schlug das Fell zurück und deutete auf die schwarze Höhle. Josephine trat ein. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf nackte Haut, bevor Jeremy hinter ihr das Fell vor den Eingang fallen ließ. Zwielichtige Düsternis umschloss sie, nur gemildert von etwas Glühendem, das sich unter den in der Mitte liegenden Steinen befand. Die Luft war so heiß und dick, als könnte man sie mit einem Messer zerteilen. Rauch biss ihr in Hals und Nase, intensiv nach Salbei duftend. Sie spürte Fell unter ihren Füßen, ließ sich niedersinken und starrte auf die schemenhafte, kniende Gestalt ihr gegenüber. Die Hitze war bereits nach wenigen Momenten unerträglich. Überrascht von ihrer Heftigkeit rang Josephine nach Luft, griff sich an die Brust und hustete.
„Nathaniel?“, brachte sie keuchend hervor. „Rede mit mir.“
„Nein“, kam es leise zurück. „Sprich erst, wenn sich der Eingang öffnet.“
Sie nahm eine Bewegung im Halbdunkel war. Es plätscherte und zischte. Der Geruch nach Salbei wurde unmittelbar intensiver, während Schwaden kochend heißen Dampfes ihren Körper umschlossen. Gequält stöhnte sie auf.
Grenzen überschreiten, das Unerträgliche ertragen, es aushalten, irgendwie …
Ihre Gedanken schweiften zu dem kurzen Eindruck nackter Haut ab, den sie erhascht hatte. Der Schweiß lief ihr aus allen Poren. Ihr schwindelte. Sie griff Halt suchend in das Fell unter ihrem Körper, dann durchdrang eine Stimme die brodelnde Hitze. Zunächst subtil wie eine Einbildung ihres von den Ausdünstungen der Kräuter betäubten Geistes, doch als sie lauter wurde, begriff Josephine, dass Nathaniel betete. Fasziniert lauschte sie der dunklen, einen monotonen Singsang säuselnden Stimme. Es war, als sinke sie tief in die Erde. Langsam, als schlösse sich zäher, warmer Sumpf um sie, rhythmisch an ihrem Körper saugend. Nathaniel schien ganz nah zu sein, obwohl er sich nicht bewegt hatte. Sie roch die Ausdünstungen seiner Haut – ein herber, anziehender Duft nach Männlichkeit. Wieder eine Bewegung, zeitlupenhaft verlangsamt. Ein weiteres Zischen. Die Hitze nahm derart zu, dass Josephine glaubte, ihr Körper werfe Blasen. Unbeeindruckt, ohne dass sich seine Stimme auch nur einen Hauch veränderte, sang Nathaniel weiter. Leise und entrückt. Sie musste sich darauf konzentrieren. An alles denken, nur nicht an dieseHitze – die gerade ihren Unterleib erreichte und ihre Gedanken wilde Blüten treiben ließ. Sie sank immer tiefer und es hörte nicht auf.
Noch einmal erklang das Plätschern, gefolgt vom Zischen verdampfenden Wassers.
Ihre Kopfhaut prickelte. Wirre Bilder tanzten durch ihren Geist. Nackte Haut, schwarze Haare, in die sie ihre Finger vergraben hatte. Zartes Narbengewebe unter ihren Lippen. Verglühte sie? Verlor sie den Verstand? Schwaden umwaberten sie wie die Glutwolke eines Vulkans, während Nathaniels Gebete leiser wurden. Je leiser sie wurden, umso tiefer versank sie in einem exstatischen Körpergefühl, das ihre Nerven zu sprengen drohte. Sie wollte fliehen, doch ihr Körper war gelähmt. Wie waren die Worte, die Jeremy gesagt hatte? Was musste sie sagen, um hinausgelassen zu werden? Es war längst zu spät. Sie war im Rausch ihrer Sinne hoffnungslos
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