Natürliche Selektion (German Edition)
schaffen.«
»Pah!«, platzte sie heraus. »Leidige Angelegenheit nennst du das? Menschen als Versuchstiere zu quälen und zu töten, jahrelang in deinem Geheimlabor zu foltern für die wahnwitzige Idee, uns zu Supermenschen zu machen?« Es gab kein Halten mehr. Die Wut übermannte sie. Lautstark schleuderte sie ihm die ganze furchtbare Wahrheit ins Gesicht und hörte erst auf, als ihr der Atem ausging.
Er stand mit offenem Mund bolzengerade und bocksteif da wie der Rekrut vor dem rasenden Feldwebel. Eine Weile herrschte angespannte Stille, bis er die Sprache wieder fand. »Ich verstehe kein Wort«, murmelte er tonlos.
Sie fühlte sich unendlich erleichtert, doch seine Reaktion verwirrte sie. »Ich muss ins Bad«, sagte sie unsicher und flüchtete ins Schlafzimmer. Ihr Handy lag auf dem Nachttischchen. Mit fiebrigen Händen wählte sie Audreys Nummer. Sie zählte die Summtöne, um die aufsteigende Panik zu bekämpfen. »Geh ran!«, knirschte sie verzweifelt, dann meldete sich die Mailbox. Sie legte auf. Sie war am Ende mit ihren Nerven. Ihr wurde übel bei der Vorstellung, wieder zu ihm ins Wohnzimmer zurückzukehren. Wie ein Kaninchen, das sich vergeblich vor der Hand des Schlachters in die Ecke seines Stalls verkroch, kam sie sich vor. Das ist Paranoia , flüsterte der Rest ihres Verstands, während ihr der kalte Schweiß ausbrach. Sie musste sich auf die Bettkante setzen, doch ihr Herz wollte sich nicht beruhigen. Sie rief noch einmal an. Wieder die Mailbox. Kaum hatte sie aufgelegt, fuhr sie auf. Als stünde er im Zimmer, fragte Muehlberg durch die Tür:
»Alles in Ordnung, Leo?«
»Was willst du?«, seufzte sie kraftlos.
»Ich möchte verstehen, warum du nicht mit mir reden willst.«
»Ich habe alles gesagt. Lass mich allein.«
»Ich begreife, dass du Damien hasst, wenn er getan hat, was du sagst. Aber was hat das alles mit mir zu tun?«
Mit einem Satz war sie an der Tür, zerrte sie auf und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Was hast du eben gesagt?«, keuchte sie.
»Was das alles mit mir ...«
»Nicht das! Damien, du sagtest Damien.«
»Ja, klar, Damien Fabre, der Colonel.«
Es dauerte eine Weile, bis sie die Sprache wieder fand. »Professor Fabre ist der Colonel? Woher – das glaube ich nicht.« Die letzten Worte flüsterte sie nur noch. Mit einem Schlag erinnerte sie sich wieder, wo sie das seltsame H2-Zeichen zuerst gesehen hatte: auf einer Aktenmappe in Fabres Büro. Sie begriff, dass Muehlberg die Wahrheit sagte, bevor er antwortete.
»Fabre ist der Colonel«, bestätigte er. »Er liebt es, wenn man ihn so nennt. Schließlich war er früher Oberst in der US-Navy.«
»Aber – unser Oberst nannte sich Garnier, Theo Garnier.«
»Théodore Damien Fabre-Garnier«, nickte er.
Leo sackte schlaff auf den nächsten Stuhl. Die Gedanken drehten sich wirr in ihrem Kopf. Plötzlich sprang sie wieder auf. »Audrey!«, rief sie entsetzt.
»Was ist ...«
Sie packte Muehlberg bei den Schultern, schüttelte ihn, als müsste sie ihn wachrütteln. »Herrgott noch mal, sie ist bei ihm. Sie läuft ihm direkt ins Messer!«
Er drückte sie behutsam auf den Stuhl zurück, dann wählte er eine Nummer auf seinem Telefon. Sie bemerkte nicht, was um sie herum vorging, hörte erst zu, als er wieder auflegte und sagte: »Damien musste dringend weg, behauptet sein Assistent.« Er zögerte.
»Und? «, drängte sie.
»Er war in Begleitung einer jungen Dame, sagt Haegler.«
»Mein Gott. Er bringt sie um.«
»Beruhige dich. Das muss noch gar nichts bedeuten. Vielleicht war es nicht deine Tochter.«
Sie hörte nicht zu, hatte das Handy am Ohr und wartete, bis sich zum dritten Mal Audreys Mailbox meldete. Mit verbissener Miene wählte sie Edmonds Nummer. »Ist Audrey bei dir?«, rief sie ins Telefon, bevor er ein Wort sagen konnte.
»Nein – Leo? Was ist mit Audrey?«
»Verschwunden – Fabre hat sie. Damien ist der Colonel – Herrgott, er hat sie entführt!« Ihr Gestammel musste sich vollkommen verrückt anhören. Hysterie, diagnostizierte sie im Stillen. Aber es ging um das Leben ihrer Tochter, und sie hatte wieder dieses Gefühl im Magen.
»Entführt! Was erzählst du da?«
»Muehlberg ist bei mir.« Sie zwang sich vergeblich zur Ruhe. Trotzdem verstand Edmond nach kurzer Zeit, was los war.
»Wir müssen die Polizei einschalten«, sagte er entschieden. »Du informierst Audreys Leute in Lyon. Du hast doch Kontakte dort?«
»Ja – gut.«
Muehlberg räusperte sich: »Gib ihn mir mal,
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