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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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Hörer gekrochen wäre.
    »Was schwafelst du da?«, fragte er, als Matthis endlich Atem holen musste. »Paris, Interpol? Die suchen den Professor? Was soll der Blödsinn?«
    »Halt die Klappe, Napoleon! Du schaust jetzt im Hof nach, ob du diesen Ambulanzwagen siehst und gibst mir sofort Bescheid, verstanden? Das ist ein Befehl, verdammt noch mal. Und halt dich vom Professor fern. Er ist gefährlich.«
    »Du hast mir gar nichts zu befehlen. Sieh doch selber nach, wenn es dich interessiert.«
    »Merde! Das werde ich, aber bis ich die Männer beisammen habe, dauert es eine Weile. Geht das denn nicht in deinen sturen Schädel?«
    »In meinem Schädel ist kein Platz für Müll. Aber ich kann ja mal nachsehen«, antwortete Napoleon lustlos und legte auf.
    Etwas war tatsächlich nicht in Ordnung. Ein Sportwagen stand vor dem halb offenen Tor. Er blieb stehen und horchte. Kein Mensch war zu hören, nur ein Buchfink schmetterte weiter sein Lied von der Spitze der nahen Tanne. Er wagte einen vorsichtigen Blick hinein und zog den Kopf sofort erschrocken zurück. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Matthis’ Geschichte irgendetwas mit seinem Professor zu tun haben könnte. Aber im Hof stand ein Ambulanzwagen, wie der Polizeikommandant ihn beschrieben hatte. Er machte kehrt und rannte, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, zurück zum Telefon in seinem Haus.
     
    Leo hörte Damiens Monolog aufmerksam zu, weil sie nicht anders konnte. Wirklich schlimm an ihrer Lage war, dass ihr Verstand so tadellos funktionierte, während sich ihr Körper in Luft aufgelöst hatte. Sie war nichts weiter als eine verlorene Seele, dazu verdammt, sich die teuflische Predigt dieses Wahnsinnigen anzuhören. Sein Wahnsinn hatte Methode, das musste sie zugeben. Präzise, sachlich, in kurzen Sätzen wie ein Offizier beim Lagebericht schilderte er die lange Entwicklung, die schließlich in der Wunderdroge Alpha-III gipfelte. Seine Geschichte bestätigte all ihre Vermutungen und Befürchtungen. Die nüchterne Art, wie er die Zombies von Puerto Rico und die Toten aus den Versuchen in den Katakomben des Mont Terri als bedauernswerte Kollateralschäden bezeichnete, war unerträglich.
    »Michels Tod hat mich tief betrübt«, sagte er mit unbeweglicher Miene. »Das können Sie mir glauben. Er war wie ein Sohn für mich. Ich hätte nichts sehnlicher gewünscht als den Erfolg der zweiten Phase. Lange sah es danach aus, dass wir die richtige Lösung gefunden hätten. Die spontane Selbstorganisation der RNA und die Auslösung schizophrener Störungen haben uns völlig überrascht. Aber mit solchen Rückschlägen muss die Forschung leben. Gerade diese Missbildungen haben schließlich zum Erfolg der Phase drei geführt. Jetzt ist das Werk vollendet. Mit Alpha-III hat die Menschheit zum ersten Mal ein Mittel in der Hand, den langsamen Prozess der Evolution dramatisch zu beschleunigen. Was bisher Jahrmillionen dauerte, findet nun im Verlauf einer einzigen Generation statt. Der Mensch entwickelt sich mit Alpha-III gezielt zu einem Wesen mit hundertfach leistungsfähigerem Gehirn. Der Homo sapiens 2.0 ist Wirklichkeit geworden, denn Alpha-III ist keine gewöhnliche bewusstseinserweiternde Droge wie Modafinil, Donepezil oder auch Ritalin, kein primitives Botox fürs Hirn. Alpha-III verbessert das Genom und die Epigenetik nachhaltig. Unsere Methode beschränkt sich nicht auf die Veränderung der Gene im Organismus, der Alpha-III einnimmt.«
    Er legte eine Pause ein, als erwarte er ihre Reaktion. Vielleicht bemerkte er eine Veränderung in ihren Augen, denn sie ahnte, was nun folgen würde, und es schockierte sie zutiefst.
    »Schade, dass Sie nicht antworten können, aber ich denke, Sie haben sehr wohl verstanden. Wir betreiben kein genetisches Engineering im somatischen Gewebe. Alpha-III ist ein Medikament, das Mutationen in der Keimbahn auslöst – Germline Engineering. Spermien und Eizellen des Homo sapiens 2.0 vererben die Verbesserungen weiter an zukünftige Generationen. Diese Menschen sind den heutigen so weit überlegen, dass sie sich ohne Zweifel innert weniger Generationen durchsetzen werden. Natürliche Selektion, nichts weiter. Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten, denn wer will schon sein Dasein freiwillig als hirnloses Gemüse fristen? Daran ändern auch Verbote und die Schließung der Fabrik in Puerto Rico nichts mehr. Alpha-III wird dadurch höchstens unnötig teuer.«
    Selbst wenn sie hätte reden können, seine nüchterne Schilderung hätte ihr

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