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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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die Sprache verschlagen. Sein Gesicht verriet keinen Funken Zweifel oder gar Schuldbewusstsein. Er war überzeugt von der Richtigkeit seiner Handlungen. Seine Mission war, den Menschen dramatisch zu verbessern, wie er sich ausdrückte. Der abartige Zwang zum Glücklichsein durch Perfektion. Am schlimmsten aber war, dass er recht hatte. Die Entwicklung ließ sich nicht mehr aufhalten. Das erste Mal seit dem Stich seiner Spritze war sie dankbar für die fast totale Lähmung ihrer Muskulatur. So musste sie sich die Seele nicht gleich aus dem Leib kotzen.
    Ein leises Summen durchbrach die Stille nach seiner Rede. Es schwoll schnell zu aufdringlichem Brummen an, und bald hörte sie die charakteristischen harten Schläge von Rotorblättern. Damien erhob sich. Das Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück.
    »Es ist Zeit«, sagte er und verließ das Zimmer.
    Die Hubschraubergeräusche erstarben. Für kurze Zeit heulten schwere Motoren auf, wie von Lastern, dann kehrte gespenstische Ruhe ein. Plötzlich knarrte die Holzdiele wieder unter Damiens schweren Schritten. Durch die offene Tür sah sie ihn im Korridor vorbeigehen. Sie erkannte ihn kaum, so gründlich hatte er sich verändert. Er trug den blauen Overall eines Polizisten oder Feuerwehrmannes. In der Hand hielt er einen weißen Helm mit Schutzmaske. Sie begriff erst, was dies bedeutete, als ihr der beißende Geruch brennenden Holzes in die Nase stieg. Die ersten Rauchschwaden waberten ins Wohnzimmer. Ihr schwacher Herzschlag drohte ganz auszusetzen, der flache Atem stockte. Mit letzter Kraft versuchte sie sich aufzurichten, obwohl sie wusste, dass sie keine Chance hatte. Sie würde hier bei lebendigem Leib verbrennen und ihre Tochter mit ihr, falls der Tod sie nicht schon erlöst hatte. Die Todesangst vernebelte ihre Gedanken so sehr, dass sie das leise Stöhnen neben sich kaum wahrnahm. Sie konnte Audrey nicht sehen, aber das Geräusch kam ohne Zweifel von ihr. Oh Gott , dachte sie entsetzt, sie lebt! Der qualvolle Tod würde auch ihr nicht erspart.
    Die ersten Balken krachten irgendwo im Haus zu Boden. Eine neue Wolke aus Staub und Rauch quoll durch die Tür. Von draußen drangen laute, hektische Rufe herein. Metall klirrte, Motoren begannen zu surren. Sie bekam kaum noch Luft. Ihre Muskelkraft reichte nicht aus, die Augen zu schließen. Sie war dazu verdammt, bis zu ihrem letzten Atemzug dem Tod buchstäblich ins Auge zu sehen. Wieder vernahm sie Geräusche von Audrey. Diesmal hörte es sich an wie ersticktes Gurgeln, als versuchte sie ihr etwas zu sagen. Und sie bewegte sich.
    Im gleichen Augenblick brach die Wand zum Korridor fast geräuschlos zusammen. Flammen schlugen ins Zimmer, dann begann es zu regnen. Holz splitterte. Die Rufe wurde mit einem Schlag lauter. Schwere Schuhe stampften durch den Korridor.
    »Les voilà! «, rief die verhasste Stimme des Professors. »Zwei Verletzte im Wohnzimmer, helft mir!« In seiner Verkleidung war er nicht von den andern zu unterscheiden. Er packte Audrey unter den Armen und schleifte sie hinaus. Einer der Feuerwehrmänner tat das gleiche mit Leo.
    »Retraite!« – »Rückzug!«, schrie jemand aus Leibeskräften. »Das Dach stürzt ein!«
    Leo hörte das Ächzen und Poltern des einstürzenden Hauses. Sie sah den Funkenregen zu ihren Füssen, dann packten zwei weitere Hände zu. Die Männer legten sie auf eine Trage und brachten sie aus der Gefahrenzone. Audrey! Wo war ihre Tochter? Erst als der Notarzt ihren Kopf vorsichtig bewegte, sah sie, wie sich zwei Männer anschickten, Audrey in den Rettungswagen zu hieven. Ein dritter stand daneben, beugte sich kurz zu ihr hinunter und sagte laut genug, dass sie beide es hören konnten:
    »Bon voyage.«
    Damien! , durchfuhr es sie in ohnmächtiger Wut. Er entkam wieder, und sie konnte nicht das Geringste dagegen tun. Der falsche Feuerwehrmann wandte sich seelenruhig ab, trat einen Schritt zur Seite und fiel der Länge nach hin. Gleichzeitig hörte sie Audrey aufstöhnen. Es klang wie ein verzweifeltes »Nein!« Ihre Hand umklammerte den Stoff seines Overalls, während er sich schnell aufzurichten versuchte. Der Helm war ihm beim Fall vom Kopf gerutscht, sein rotes Gesicht deutlich zu sehen. Er riss sich ärgerlich von Audreys Hand los, aber es war zu spät. Die herbeigeeilten Kollegen aus Lyon umringten sie und begriffen blitzschnell, wer da gestrauchelt war. Auf dem Flug hierher hatten sie genügend Zeit gehabt, sich das Gesicht des Professors einzuprägen.
    Capitaine Delcour trat

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