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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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einen Schritt auf ihn zu und befahl ihm zufrieden grinsend: »Auf den Boden und Hände auf den Rücken, Colonel. Die Show ist vorbei.«
    Professor Damien Fabre fiel ohne weiteres auf die Knie, kippte vornüber und blieb flach auf dem Bauch liegen. Er rührte sich nicht mehr. Nie mehr. Er war ihnen doch noch entwischt.
Butte Aux Cailles, Paris, einen Monat später
    Hin und wieder raschelte es in den Zweigen der Platane über der Terrasse. Sonst blieben die Vögel stumm. Bei 32 Grad im Schatten war ihnen die Lust am Singen vergangen. Fenster und Rollläden im Haus gegenüber waren seit dem frühen Morgen geschlossen. Nur gedämpft klangen die melancholischen Mollakkorde aus der Wohnung der Pianistin zu ihr herüber. Selbst die Geräusche der Strasse schienen die Stadt zu meiden. Paris im Hitzekoma.
    Leo beeindruckte das nicht. Sie lag auf dem Liegestuhl, dem in ihrer Vorstellung immer noch Michels Geruch anhaftete, und wartete. Es fiel ihr schwer, nicht auf den Teststreifen neben sich zu schauen, den sie vor einer gefühlten Ewigkeit angepinkelt hatte. Es mussten die längsten fünf Minuten ihres Lebens sein, bis sie endlich einen Blick wagen durfte. Mit angehaltenem Atem und geschlossenen Lidern drehte sie sich um. Wirre Bilder der Angst, Hoffnung, Abscheu und Freude explodierten wie Feuerwerk in ihrem Kopf, dann öffnete sie die Augen. »Negativ!«, seufzte sie erleichtert, doch die Anspannung blieb. Es war eine traurige Erleichterung, nicht schwanger zu sein. Sie drehte sich wieder auf den Rücken und starrte ins Leere. Im Grunde wusste sie nicht, sollte sie sich freuen oder weinen.
    Sie musste eingeschlafen sein, denn plötzlich schreckte sie Audreys Stimme auf. »Alles in Ordnung, Maman?«, fragte ihre Tochter besorgt und küsste sie auf die Stirn.
    »Sicher.«
    Audreys Blick fiel auf den Teststreifen, der immer noch neben ihr auf dem Tischchen lag. Nach dem ersten Schreck hellte sich ihre Miene etwas auf. Ein banges Lächeln umspielte ihren Mund, als sie fragte: »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
    »Ja, keine Sorge. Ich dachte tatsächlich – ach, Schwamm drüber. War vielleicht nur die Aufregung, oder das Alter, was weiß ich.«
    Audrey zog es vor, nicht weiter zu fragen und ging in die Wohnung. Als sie zurückkam, stellte sie zwei Gläser mit Wasser und Limonenschnitz auf den Tisch. Sie trank einen Schluck, dann räusperte sie sich umständlich. Schließlich sagte sie leise: »Das ist vielleicht nicht der beste Augenblick, es dir zu sagen.«
    »Was denn?«
    Statt zu antworten, hielt Audrey ihr ein Foto vor die Augen. Es war die Grossaufnahme eines Stäbchens, das offensichtlich die gleiche Funktion erfüllte wie ihr Teststreifen. »Das erste Bild unserer Kleinen«, sagte sie stolz.
    Leos Stimmung schwankte in einem Sekundenbruchteil zwischen Neid und Euphorie. Die Freude siegte. Sie drückte ihre Tochter fest an sich und sagte erst einmal gar nichts.
    »Vielleicht ist es auch ein kleiner Edmond«, lachte Audrey glücklich. »Auf jeden Fall wirst es dir auch mit dem Enkelkind nicht langweilig. Dafür werden wir schon sorgen.«
    Enkelkind – hörte sich an wie Großmutter. War es nun also soweit? Sie freute sich auf den kleinen Fratz, musste ihre Bemerkung aber trotzdem loswerden: »Kommt das nicht ein bisschen früh für euch?«
    »Du hast Nerven! Muss ich dich an deine Geschichte erinnern? Wie alt warst du noch mal, als ich das Licht dieser schönen Welt erblickte? Überdies hat Edmond ein kleines Geschenk verdient. Er war es immerhin, der die Kollegen auf das Bauernhaus im Jura aufmerksam gemacht hat.«
    »Kleines Geschenk ist gut. Weiß er von seinem Glück?«
    »Natürlich, und wahrscheinlich die ganze Abteilung in der Klinik auch.«
    Leo fragte sich, was Audreys Nachwuchs wohl erwartete in zehn, zwanzig Jahren. Sie hoffte, die Prophezeiung des Colonels würde nicht so schnell in Erfüllung gehen. Sie selbst jedenfalls fühlte sich noch ganz wohl in der Rolle des Auslaufmodells.
     
     

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