Natur
entsprechen, es muss gar nicht realistisch sein. Es wird vielmehr idealisiert. Doch Bilder allein gehen nicht, man benötigt dazu immer eine kommentierende Geschichte. Aus diesem Grund brauchen wir den Kommentator, das heißt den Menschen, der den anderen zeigt, dass es geht.
AF: Sie haben das Mailänder Strahlenkonzept 56 erdacht, ein strukturierendes Element im Flächennutzungsplan, das in Form von acht grünen Strahlen die Stadt mit dem Umland verbindet. Von diesen Strahlen gehen zusätzlichepositive Effekte aus, indem bereits existierende Freiflächen, die möglicherweise als wenig beachtete Ecken vor sich hinkümmern, aufgewertet werden, ein durchdachter ganzheitlicher Ansatz. Ist dieses Konzept ein auf andere Städte übertragbares Modell? Und wie geht man vor, um es zu realisieren?
AK: Ein konkretes Beispiel, das zeigt, dass das Modell übertragbar ist, ist das aus den 1920er Jahren stammende Konzept von Schumacher in Hamburg. Es war ein klares Prinzip mit neun Strahlen, die von der Innenstadt ausgehend in alle Himmelsrichtungen verlaufen. An diesen Strahlen machen sich zentrale Orte fest. Hier an der Peripherie kann die Stadt wachsen. Die Strahlen stellen so etwas wie eine Leitlinie dar, die es erlaubt, in kleinen Schritten vor zugehen, ohne dass man das Ganze aus den Augen verliert. Denn wir kønnen nicht alles auf einmal machen, weil uns die Mittel dafür fehlen.
Solche Problemlösungen mit langer Zeitperspektive überfordern die Verwaltung. Deshalb muss es anders gemacht werden. Das Beispiel Mailand kann zeigen, wie es geht. Claudio Abbado kam nach seinem Abschied von den Berliner Philharmonikern zurück nach Mailand und stellte fest, dass es auch in Mailand Bäume geben sollte, wie er es in Berlin gesehen hatte. Solche Leute wie Abbado warten nicht darauf, dass sie aktiviert werden, sie werden von sich aus tätig.
Dann kam noch Renzo Piano hinzu, der Stararchitekt, der sich für die Bäume stark machte. Auch wenn er als berühmter Mann so gut wie unangreifbar ist, so wurde er doch heftig kritisiert. Bei nicht oder bei weniger berühmten Leuten wären die Bäume in Mailand nicht zur Sprache gekommen und erst recht nicht dort hingekommen.
Abbildung 4-15: Bäume vor dem Mailänder Dom (Foto Andreas Kipar)
Wir brauchen Bauflächen in den Städten, denn immer mehr Menschen werden in den Städten wohnen. Auch hier ist das Strahlenkonzept von Nutzen: Wir können entlang der Strahlen an den Rändern nachverdichten. Nachverdichtung muss nicht heißen, dass innerstädtische Freiflächen verloren gehen.
AF: Sind Provisorien nicht das Gebot der Stunde? Also erst einmal ausprobieren, ob es geht, bevor man viel Geld ausgibt?
AK: Was wir machen, ist «work in progress», es sind Stufenpläne, die eine gute Organisation im Hintergrund erfordern.
Das Problem ist, dass die normale Verwaltung das nicht macht, sie setzt Beschlüsse um. Provisorien sind ihr fremd. Andererseits sind Provisorien wichtig, wenn man etwas erproben will.
Abbildung 4-16: Bäume auf Probe (Foto Andreas Kipar)
AF: Der Baum ist ein besonderes Naturelement. Was sagen Sie als Landschaftsarchitekt dazu?
AK : Der Baum ist ein mächtiges Symbol. Er überlebt uns. Zugleich machen wir daran unsere Kindheitserinnerungen fest. Man hat zum Beispiel unter einem Baum gespielt, man ist darauf geklettert, man hat sich dahinter versteckt. Der Baum hat auch eine religiöse Dimension. Wenn sich die Gesellschaft von der offiziellen Religion, die die Kirche vertritt, löst, braucht sie wieder heidnische Symbole. Und dann noch etwas: Bäume können vielfältig sein. Verschiedene Baumarten an einem Ort schaffen Abwechslung, zum Beispiel hat man in St. Pauli in Hamburg ausdrücklich verschiedene Baumarten gepflanzt. Das Gegenteil ist eine klassische Allee,hier stehen dieselben Bäume in Reih und Glied. Bäume sind so ein Mittel, um Vielfalt zu erzeugen und damit auch ein Baustein der neuen Wahrnehmungsstrategie.
AF: Was sagen Sie zum Verhältnis von gebauter Umwelt und den freien Flächen in der Stadt: Verschiebt sich hier etwas, gibt es eine Umgewichtung?
AK: Der öffentliche Raum erlebt eine Renaissance, was zum einen daran liegt, dass wir insgesamt nicht mehr so viel Gebautes brauchen, die Zukunft liegt im Ungebauten. Das sagt sogar ein Architekt wie Norman Forster. Freiflächen sind keine Restflächen mehr, sie sind die Potentiale der Zukunft. Unseren Masterplan für die Stadt Essen haben wir dementsprechend betitelt mit «Freiraum statt Stadtraum». Das
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