Naturgeschichte(n)
die den Gegenentwurf zum Dreck und Elend der Fabriken und Industrien darstellte. Dass er mit seiner Idee vom Haus der Natur, in dem das Leben in geregelter Weise zu leben hatte, in Konflikt zu seinem anderen, viel weiter reichenden Aktionsfeld, nämlich der Darwin’schen Evolution, geriet, wurde ihm offenbar nicht bewusst.
In Haeckels Ökologie herrschten die grundsätzlich gleichen Gesetze wie in der vom beginnenden Industriezeitalter an bereits praktizierten Ökonomie: Arbeitsteilung, Leistungszwang, Anpassung und Konkurrenz bis hin zum Darwin’schen » Überleben der Tüchtigsten« (Fittesten, Tauglichsten). Jedes Lebewesen fand im Haus der Natur – » Öko« kommt vom griechischen » oikos« und bedeutet » Haus« – seinen rechten Platz. Es hatte darin seine Aufgabe (Funktion) zu erfüllen und blieb unter der Kontrolle des Ganzen, was nötig war, um Eigenmächtigkeiten zu verhindern.
Generationen von Forschern nach Haeckel, die sich bald auch ganz zutreffend als Ökologen bezeichneten, bedienten sich seines Konzepts, um damit die lebendige Natur zu erforschen – ähnlich gut, zuverlässig und praktisch anwendbar wie die Technik aus der Physik, war das erklärte Ziel.
Die Ökologie gedieh als Wissenschaft dennoch rund ein Jahrhundert lang nicht sonderlich. Zu komplex war die Natur; so kompliziert, dass sie sich Vorhersagen und Gesetzen entzog, wie sie die Physik geliefert hatte. Noch bis weit ins 20 . Jahrhundert hinein glich sie mehr einer Naturbeschreibung als einer Naturforschung. Früh kam ein Schulterschluss mit dem sich gegen Ende des 19 . Jahrhunderts als Heimatschutz aufkommenden Naturschutz zustande. In beidem steckte die Empfindungsweise der Romantik.
Rasche wissenschaftliche Fortschritte machte der Teilbereich der Ökologie, der sich mit den Gewässern befasste. Deren immense Verschmutzung schuf Anlass und Lösungsnotwendigkeiten. Es war der System-Gedanke, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Ökologie veränderte und mit neuen Techniken der Forschung in den Rang einer Naturwissenschaft erhob. Der Begriff » Ökosystem« ersetzte das alte Haus der Natur und machte es zugleich erforschbar, nicht nur beschreibbar. Was insbesondere den Naturschützern verborgen blieb, war die Art dieser Ökosystem-Forschung. Sie legte aus praktischen Gründen beliebige Grenzen für ihre Untersuchungen fest, betrachtete die zu erforschenden Ausschnitte aus der Natur gar nicht so sehr nach ihrem Inhalt, sondern danach, wie sie » funktionierten«. Um dieses festzustellen, wurde gemessen, was an Material und Energie hinein- und an Produktion, Abfall und Energieverlust wieder herauskam. So ein Vorgehen funktioniert bei einem See im Prinzip genauso wie bei einer Pfütze, bei einem Stück Wald oder einer Wiese wie bei einem Acker, in einer Stadt oder auch nur in einem Blumentopf.
Gerade wegen dieser starken Vereinfachung kamen wichtige Befunde zustande. Sie schufen die Grundlagen und Bezugswerte für den Umweltschutz. Die an den Umsätzen beteiligten Lebewesen fasste man, wiederum aus praktischen Gründen, zusammen zu » funktionellen Einheiten«. Aus den Pflanzen wurden die (Primär-)Produzenten, aus Tieren, die direkt davon leben, die Konsumenten erster Ordnung, denen jene zweiter und dritter, vielleicht sogar vierter Ordnung folgten, wenn sie sich von Tieren ernährten.
So entstand eine Nahrungskette und, auf die Mengen pro Stufe bezogen, eine Nahrungspyramide. Denn mit jeder Nutzungsstufe, das war schnell klar, kam ein großer Verlust zustande. Die Spitze, die obersten Konsumenten, brauchten eine umso größere Basis, je länger die Kette war, über die die von den Pflanzen gebildete Ausgangsnahrung weiterzureichen war.
So » arbeitet« die Kuh, die Gras verzehrt und dieses in Fleisch und Milch umsetzt, viel effizienter als der Seeadler, bei dem die Fische, von denen er lebt, andere, kleinere Fische gefressen hatten, die sich wiederum von noch kleineren ernährten, die Wasserflöhe fraßen, deren Nahrung winzige im Wasser schwebende Algen waren. Bei einer so langen Nahrungskette musste der Seeadler von Natur aus selten sein. Seine paar Kilogramm Lebendgewicht bedeuten nichts im Vergleich zur über hundertmal schwereren Kuh, die sich direkt von der Basis ernährt. Ganz dementsprechend brauchen wir für die Erzeugung von einem Kilogramm Nutztierfleisch die mehr als 100- fache Fläche im Vergleich zur Produktion von einem Kilogramm Weizen. Das starke Anwachsen der Menschheit war überhaupt nur möglich, weil sich
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