Naturgeschichte(n)
ihr überwiegender Teil weitgehend pflanzlich ernährte.
Wie gesagt, die Ökologie war auf diese Weise eine richtige Naturwissenschaft geworden. Sie hatte aber auch immer noch den Naturschutz, ihren alten Verbündeten, im Gepäck, und dieser hing gemäß der romantischen Sehnsucht einer besseren Welt des späten 18 . und frühen 19 . Jahrhunderts nach.
Die neuen Umweltkrisen, die mit der globalen Ausbreitung des Insektenbekämpfungsmittels DDT und dessen Nebenwirkungen ihren Anfang nahmen, schufen nicht nur den modernen (und zweifellos notwendigen) Umweltschutz. Sie gaben auch dem Naturschutz neuen Auftrieb. Dieser sah sich nun, ausgestattet mit den Forschungsergebnissen der Ökologie, in einer erstarkten Position. Damit setzte die erneute Wende ein. Sie führte weg von der messenden, darstellenden Naturwissenschaft, deren Ergebnisse ja eigentlich nichts weiter als Befunde waren, und hin zur Bewertung dieser Befunde nach eigenen Zielsetzungen und Wunschvorstellungen.
Die neue Ökologie wurde Programm. Sie floss ein in politische Parteiprogramme und breitete sich in der Art einer Heilslehre in der Öffentlichkeit aus. Alles sollte nun » Öko« werden. Für die bessere Zukunft all jener, die mit der besten Zeit, die die Menschen in großen Teilen Europas und in Nordamerika je erlebten, nicht zufrieden waren.
Die Natur wurde nun mithilfe der vereinnahmten, ideologisierten Ökologie zu einem übergeordneten, gottesgleichen Wesen. Ihre Teilstücke, die von der Forschung nur so genannten » Ökosysteme«, erhielten ein Eigenleben. Sie schienen sich wie Aliens überall dorthin auszubreiten, wo irgendwelche Veränderungen vorgesehen waren. Denn ein Ökosystem durfte nun nicht mehr gestört, schon gar nicht zerstört und wenn möglich noch nicht einmal beeinträchtigt werden. Was damit gemeint sein sollte, wurde ganz nach Bedarf vorgeschoben: Das Vorkommen eines Vogels, natürlich eines seltenen und bedrohten, eines Froschs, Käfers, einer Wanze oder gar eines unberührten Flusses, so als ob es sich dabei um eine Jungfrau handeln würde. Was wirklich verhindert werden sollte, war die Störung des Bildes, das sich die neue Ökologie von genau diesem und jenem Ort machte, an dem etwas verändert werden sollte. Dieses Sollen wurde zum Grundmaß. Nicht etwa des Naturhaushalts an sich, denn mit diesem können weder die alte wissenschaftliche noch die neue ideologische Ökologie und schon gar nicht der Naturschutz etwas anfangen. Die bloße Absicht einer Veränderung galt nun als ausreichend, für ihre Verhinderung zu kämpfen und einen Ausgleich für den Eingriff zu fordern. Auch das, was ausgeglichen werden sollte, spielt letztlich keine Rolle mehr, denn wie ließen sich Krautköpfe mit den Raupen von Kohlweißlingen und ein paar Laufkäfern am Boden bei Umwandlung in einen Flugplatz mit erfolgreich brütenden Brachvögeln, Dutzenden singender Feldlerchen und vielen anderen Laufkäfern aufrechnen?
Unangenehm wurde auch, als sich herausstellte, dass die vielgeschmähten, weil so unwirtlichen Städte einen weit höheren Artenreichtum beinhalteten als das » gute« Land. Die Natur selbst hielt sich nicht an die Vorstellungen der neuen Ökologie. Umso mehr verwandelte sie sich in einen Lebensstil mit religiöser Prägung. Sie füllte die Lücken, die die aus anderen Gründen rückläufigen Religionen hinterlassen hatten. Ökologie und Naturschutz waren zu einer gesellschaftlich sehr wirkungsvollen Strömung geworden. Wenn echte Ideale zu rar geworden sind, braucht die Gesellschaft anscheinend Ideologien.
So ganz fleckfrei blieb die Wissenschaft in diesem gesellschaftspolitischen Prozess auch nicht. Die Ökologie versuchte erst gar nicht, ihre Position als Naturwissenschaft gegen die ideologische Vereinnahmung zu verteidigen. Weitaus die meisten Ökologen arbeiteten weiter und erarbeiteten gleichermaßen wichtige wie spannende Befunde. Viele sahen sich aber aufgrund der sich verschärfenden Knappheit der Forschungsmittel auch dazu gezwungen, sich dem Zeitgeist anzuschließen und in die von den aktuellen Umweltthemen gebotenen Möglichkeiten einzusteigen.
Waldsterben und Klimawandel sind Musterbeispiele dafür, wie rasch Symbiosen, also Zusammenarbeit zu gegenseitigem Vorteil, zustande kommen. Ökologie und Ökologismus werden daher auch in Zukunft unter dem Dach von » Öko« vereint bleiben. Es lohnt sich, genau zu schauen, welches Zimmer man im »Haus der Natur(forschung)« betritt, das der Ökologie oder jenes des
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