Nauraka - Volk der Tiefe
bekamen. Die Piraten hatten keinen Einfluss mehr auf ihre Gefangenen, die völlig durchdrehten. Sämtliche Boote schwankten jetzt, und der Herantado kam immer näher, von der anderen Seite der Dsuntari. Erste Pfeile und Speere flogen von der Festung durch die Luft und blieben in der Rückenflosse stecken. Kurzzeitig sah Lurdèa ein wahrhaft riesiges, breites, mit langen Barteln besetztes Maul aus dem Wasser auftauchen, bevor es wieder platschend darin versank.
Die Ruderer versuchten, die Paddel einzuziehen. Einem Piraten wurde eines aus der Hand gerissen, wirbelte über das Boot und traf Berenvil mit voller Wucht am Kopf, der ohne einen Laut zusammensackte.
In diesem Moment kenterte das Boot und schlug um.
Lurdèas Kiemen öffneten sich, sie schwamm durch die strampelnden und zappelnden Leiber und suchte nach Berenvil. Schließlich entdeckte sie ihn, wie er reglos in die Tiefe sank. Aus seiner Nase stiegen feine Luftbläschen, und aus seiner Kopfwunde zogen sich Blutfäden, die langsam zur Oberfläche strebten.
Lurdèa tauchte eilig zu ihm, während sie von der anderen Seite den gewaltigen, dicken, über und über mit schleimigen Barteln besetzten Leib des Herantado herannahen sah, das Maul bereits zur reichen Ernte geöffnet. Ein ganzer Händler fand darin Platz, wie Lurdèa schaudernd mitbekam, und sie beeilte sich noch mehr.
Endlich hatte sie Berenvil erreicht, packte ihn und schoss mit ihm durch die Fluten davon, hinaus aus dem Chaos, ohne sich umzusehen. Ihre Beine schlugen kräftig, die Flossen waren inzwischen vollkommen ausgebildet. Berenvils Gewicht, das sie an Land nicht einmal zur Hälfte hätte heben können, bemerkte sie hier kaum. Ihre Kiemen pumpten hektisch Wasser, sodass sie einen Schwall an Luftblasen zurückließ, aber sie ging nicht von einer Verfolgung aus.
Besorgt sah sie, wie Berenvils Haut aschfahl wurde, mit leicht bläulichem Ton, und aus seiner Nase drangen nur noch vereinzelt Luftbläschen. Doch sie konnte noch nicht mit ihm auftauchen, es war zu gefährlich, sie mussten größeren Abstand gewinnen. Einen letzen Rest Luft hatte sie noch in den Lungen; inzwischen konnte ihr Körper sich so schnell umstellen, dass es fast keinen Übergang mehr gab. Lurdèa zögerte, denn was sie nun tun musste, ging weit über das hinaus, was sie jemals wieder ertragen wollte. Doch er starb, wenn sie nichts unternahm, sein Leben lag in ihrer Hand. Sie presste die Lippen auf seinen Mund, verschloss ihn außen fest, und stieß dann ihren Atem in ihn hinein. Derweil schlugen ihre Füße unablässig auf und ab und trieben sie beide weiter voran. Berenvil blieb weich und schlaff in ihren Armen. Seine Augen waren nach wie vor geschlossen, doch das musste noch nicht das Ende bedeuten. Es war vielleicht sogar besser, dass er nicht bei Bewusstsein war, da er sonst in Panik geraten könnte und vorzeitig an die Oberfläche musste.
Die Münder immer noch fest miteinander verschweißt, schwamm Lurdèa weiter, so schnell sie konnte. Der Kampflärm hinter ihr schwand, sodass sie es schließlich wagen konnte, vorsichtig aufzutauchen. Erst als sie die Oberfläche erreicht hatten, wagte sie es, den Mund von ihm zu lösen. Sie hielt Berenvils Kopf über Wasser und sah sich um. Hinter ihnen tobte der Kampf, das Wasser war aufgewühlt wie bei einem schweren Sturm. So weit hatten sie es geschafft. Nun musste sie das Land erreichen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Aus seiner Kopfwunde sickerte immer noch Blut, und hustend fing er wieder an zu atmen, nur das Bewusstsein erlangte er noch nicht zurück. Aber das war vielleicht besser so, denn auf diese Weise kam Lurdèa schneller voran.
Sie legte den Mann halb auf sich, damit Mund und Nase über Wasser blieben, während sie knapp unter der Linie zielstrebig Richtung Land tauchte.
Schließlich stieg der Grund an, das Wasser wurde wärmer und grüner. Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten, als Lurdèa einen feinen Sandstrand erreichte. Sie streckte den Kopf aus dem Wasser, stemmte die Füße in den Sand und wartete, bis die Anpassung abgeschlossen war, bevor sie den bewusstlosen Berenvil mühsam aus dem Wasser und durch den Sand zog, bis hinter die Flutlinie. Dann ließ sie ihn los und sank erschöpft neben ihm nieder.
Einige Zeit lag sie reglos da und lauschte ihrem keuchenden Atem. Der Kampf auf dem Meer schien ebenfalls beendet, denn die See hatte sich wieder beruhigt. Als Lurdèa den Kopf hob, konnte sie nur noch die davontreibenden Boote als vereinzelte
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