Nauraka - Volk der Tiefe
unübersichtlichen Stelle ab, von der aus ich weiter nach oben steige«, schlug Erenwin vor. »Man soll wissen, dass sich ein Gast nähert.«
»Und weshalb sollen wir das Schiff verborgen halten?«
»Das ist eine Sache des Anstands. Es könnte als Angriff gewertet werden. Ein einzelner Mann aber scheint nicht gefährlich zu sein. Zudem gilt Berenvil als Einsiedler. Man muss ihm mit Bescheidenheit begegnen.«
Der Kapitän dachte nach. »Du bist weit gereist, Erenwin, ich vertraue auf deine Erfahrung. In jedem Fall werden wir in der Nähe warten, und wenn wir kommen sollen, bläst du ins Horn.« Er ließ dem Nauraka ein mittelgroßes Horn bringen, das er gut in den Falten des Gewandes verbergen konnte. »Es trägt weit, wir werden dich hören und schneller als ein Falke da sein.«
»Ja, das ist gut.« Erenwin legte gleichzeitig seine Waffen ab und gab sie in Yahis Obhut. »Ich hoffe, Berenvil wird uns unterstützen. Einen der Fürsten könnte ich vielleicht überreden, Fangur von Morang, denn er kennt mich von früher und schuldet mir etwas. Ich … werde schon die richtigen Worte finden, wichtig ist zuvorderst, dass ich empfangen werde.«
»Wieso habt ihr eigentlich nie herausgefunden, wer der Alte Feind ist?«, wollte Yahi neugierig wissen.
»Wir haben nie nach ihm gesucht.«
Die Meaglea ging in Sinkflug, segelte zwischen einem gespaltenen Berg hindurch und überflog ein Tal aus hunderten spitzer Felsenzacken, die wie die Zähne eines Schnappbarsches nach oben ragten.
»Wenn du hier runterfällst, können dich keine Flüche oder Heilkünste mehr retten«, merkte Fwyll an.
»Ich bin schon lange nicht mehr zu retten«, gab Erenwin zurück. Er hielt die ganze Zeit nach den Krahim Ausschau, doch keine einzige schwarze Feder war zu sehen. Auch der Himmelskönig, der hier seinen Horst haben sollte, verbarg sich scheu. Lediglich an einigen weniger steilen Berghängen, an denen sogar etwas Grün wuchs, kletterten dickhornige Ziegen und zeigten, dass es Leben gab. Hier als Einsiedler zu leben war ein gutes Ziel. Wenn sein Bann nicht aufgehoben würde, könnte Erenwin seinen Platz in diesen Bergen finden. Dann würde er auch keine Farben mehr vermissen, denn hier gab es ohnehin nicht viel davon.
Er deutete auf eine Stelle an einer Flanke des Domgar, die ihm geeignet erschien. Tief unten, am Fuße des Berges, stiegen dünne Rauchsäulen auf. Die Burg musste auf der anderen Seite der Flanke liegen, dorthin führte der zum größten Teil in Stufen aus dem Fels geschlagene Weg. »Setzt mich dort ab und wartet. Sobald ich das verabredete Signal gebe, fliegt ihr zur Burg. Hoffen wir das Beste!«
»Viel Glück«, wünschte Fwyll.
Yahi und Helur packten Erenwin jeder unter einer Achsel und flogen ihn das letzte Stück zu dem Weg hinunter.
»Du bist schwer wie ein Stein!«, beschwerte sich der junge Daranil. »Ich dachte immer, Nauraka seien Leichtgewichte.«
Erenwin verzichtete auf eine Entgegnung, er konzentrierte sich auf sein Ziel. Er drehte sich nicht einmal um, sondern schlug den Pfad nach oben ein, den Blick nach vorn gerichtet.
Um die Mittagsstunde erblickte er Dorluvan zum ersten Mal. Schwarz und groß ragte die von Steinbögen getragene Burg über den Fels hinaus. Ein eisiger Wind wehte hier oben, und ab und zu wirbelten verirrte Schneeflocken um ihn herum. Zähe, hartblättrige kleine Büsche klammerten sich an Felsenritzen, und sogar die eine oder andere dünne, verwachsene Bergkiefer fristete hartnäckig ihr Dasein.
Der Stufenweg schlängelte sich zwischen herabgestürzten Felsbrocken hindurch, stieg steil an und fiel nach einer Kuppe wieder ab, wand sich um eine Ausbuchtung und stieg erneut in steilen Kurven stetig die ganze Seite des Berges entlang an.
Unterhalb des Weges breitete sich das Dorf aus, an dessen äußerer, zum Tiefland hin gerichteten Seite Häuser lagen, die neu aussahen, mit hellen Dächern und gut befestigten Wegen. Erenwin schätzte, dass bald daraus eine Stadt entstanden sein würde, und hielt es für ein gutes Zeichen. Niemand zog freiwillig in eine Gegend, in der Unterdrückung und Ausbeutung herrschte. Berenvil schien seinem Ruf also gerecht zu werden. Er war anscheinend ein Eigenbrötler, aber vermutlich nicht jedem gegenüber feindlich gesinnt.
Die Burg dräute nun schon gewaltig über ihm und verbarg die Sonne, die allmählich nach Westen wanderte, um kurz vor der Nachtruhe einen Plausch mit dem Meer zu halten. Die Luft war dünn und eisig, ein Lichtkranz von der verdeckten
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