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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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Sonne umhüllte die Burg und ließ sie noch finsterer, zugleich aber auch strahlend erscheinen. Eine kurze Zeit musste Erenwin sogar durch Schnee stapfen, der sich in einer Nische angesammelt hatte, in die sich nie ein Sonnenstrahl verirrte, und sich noch bis auf den Weg türmte. An den überhängenden Felsen klammerte sich der Raureif fest.
    Nach der nächsten steilen Biegung wurde es etwas milder und der Weg leichter. Er hatte es fast geschafft. Gleich über der Burg begann der ewige Schnee, hielt sich als Gletscher in weiten Spalten und hing in gewaltigen Zapfen über Felskanten herab. Ein unwirkliches Funkeln und Leuchten lag über allem, und der Wind sang dazu eine seltsame Melodie.
    Erenwin verstand immer besser, was einen Mann dazu bringen konnte, ausgerechnet hier eine Burg zu bauen. Er nahm die letzte Kurve, und nun ging es fast gerade auf den großen Torbogen des Eingangs zu. Keine Zugbrücke über einer Spalte, kein Fallgitter, nur zwei Wachen, die oben auf dem Wehrgang hin- und hergingen, den einsamen Besucher jedoch nicht beachteten.
    Trotzdem wurde er beobachtet, denn noch bevor er den mächtigen Klopfer betätigen konnte, wurde eine kleine Tür in dem riesigen Portaltor geöffnet, und er stand vor einer Magd. Sie trug ein Wollkleid und Stiefel, die sie vor der Kälte schützten. Blonde Haare blitzten unter einer Haube hervor.
    »Ehrenwerter Herr«, sagte sie und verneigte sich. »Was verschafft uns die Ehre Eures Besuches?«
    »Ich bin Erenwin«, antwortete der Nauraka.
    Ihr Kopf ruckte hoch, dann weiteten sich ihre Augen. »Aber gewiss doch, verzeiht, dass ich Euch zuvor nicht richtig ansah und erkannte …«, stammelte sie. Als gut erzogene Magd durfte sie den Blick nie erheben und erst recht nicht einen herrschaftlichen Gast anstarren. »Das … das ist sehr unerwartet …«
    »Sag deinem Herrn, dass ich seinen Rat und Hilfe erbitte. Ich komme in Frieden und ohne Waffen. Ich bin in niemandes Auftrag hier, nur in meinem eigenen. Ich bin müde und verzweifelt nach langer Reise und suche hier meine letzte Hoffnung – nicht vergeblich, wie ich mir sehnlich wünsche.« Erenwin zeigte die leeren Handflächen und den leeren Gürtel. »Ich werde warten.«
    »Danke, Herr«, sagte die Magd, schloss eilig die Tür, und er hörte, wie sich ihre trippelnden Schritte entfernten.
    Schon bald darauf öffnete ein Soldat die Tür und bat Erenwin, einzutreten.
    Das Innere der Burg war verschachtelt, weder hoch noch weit, um die Wärme drin zu halten. In der Mitte des Gangs war ein Teppich ausgerollt, verschnörkelte Öllampen spendeten warmes Licht.
    Allerdings gab es einen größeren Raum, die herrschaftliche Halle im Zentrum, die von großen Fenstern erhellt wurde. Sechs Kamine vertrieben die Kälte; die Mauern waren so dick oder so gut abgedichtet, dass es keinen Durchzug gab. In der Mitte der Halle stand eine große Tafel, an der gut dreißig Personen Platz fanden. An den Wänden hingen Gobelins mit mystischen Motiven, auch hier war der Steinboden mit Teppich ausgelegt. Eine Tür neben den Fenstern führte auf einen Balkon hinaus, hinter dem eine prachtvolle Aussicht wartete.
    An der Wand neben der Tür stand ein sehr großer Spiegel, der den Eindruck erweckte, als sei der Saal noch größer.
    »Herr Berenvil wird gleich kommen«, sagte der Wachmann.
    »Kann ich mich ein wenig umsehen?«, fragte Erenwin.
    »Seid willkommen.«
    Vor dem größten Kamin, hinter dem Kopfende der Tafel, waren gemütliche Sitzmöbel aufgestellt, und ein kleiner Tisch, auf dem Knabbereien und eine Schale mit Früchten standen. Über dem Kamin war eine feine Stuckarbeit in die Mauer gemeißelt worden.
    Erenwin öffnete die Tür zum Balkon und trat hinaus. Sofort fegte der eisige Wind heran, doch er ließ sich davon nicht stören. Er befand sich auf dem ins Nichts ragenden Teil der Burg, und es war, als stünde er mitten im Himmel, umgeben von den gewaltigen Bergen. Als er Stimmen hörte, ging er ein Stück weiter; der Balkon zog sich noch länger, an anderen Gemächern vorbei. Erenwin hörte vertrautes Plätschern, das ihn gerade hier oben seltsam anmutete, und blickte nach unten.
    Ein künstlich angelegter See breitete sich direkt unter ihm auf einem Felsvorsprung aus, und drei junge Männer plantschten fröhlich in dem dampfenden Wasser. Sie lagen im Alter nicht weit auseinander, zählten zwischen vierzehn und achtzehn Jahren. Als sie aus dem Wasser stiegen und auf das Innere der Burg zustrebten, sah er, dass sie gut gebaute Körper

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