Nauraka - Volk der Tiefe
dass er diese Frage besser nicht stellen sollte, denn wie alle Händler brach nun sofort die übliche Tirade über ihn herein: Wie schlecht die Zeiten geworden seien, viele Länder dem Ruin nahe, niemand wolle mehr gute Waren erstehen, man sei gezwungen, weit unter Wert zu liefern, die Steuerlast sei erdrückend, der Gewinn nicht mehr vorhanden, und so weiter. Aber es war ein Ritual, das Eri genoss, denn es fasste alles zusammen, was der Markt ihm bedeutete.
Nachdem Hallog mit seiner Klage fertig war, wollte er von Eri wissen, wie es ihm ginge. Nach kurzem Zögern erzählte der Prinz zusammengefasst von seinem jüngsten Abenteuer, und der Händler hörte staunend und aufmerksam zu. Anschließend musste er ein neues Fass Luft öffnen; die Zeit würde bald verstrichen sein, doch für einen Plausch reichte es noch. Der Mensch, der für ihn arbeitete, hatte ohnehin nicht mehr viel Ware feilzubieten, und es musste für Nachschub gesorgt werden.
Nun, Junge, wie steht es denn mit deinen Plänen? Wolltest du diesmal nicht mitkommen, um die Welt zu sehen und Abenteuer zu erleben?
Also, ehrlich gesagt … mir reicht das Abenteuer, das ich gerade bestanden habe. Und außerdem muss ich für Luri da sein. Sie heiratet wahrscheinlich bald, und das muss ich irgendwie verhindern.
Luri heiratet? Sie ist doch viel zu jung! Das sind ja Sitten wie bei den Menschen!
Vater verkauft sie an einen reichen Nauraka. Er ist ein Fürst und scheint ein ziemlich großes Reich zu besitzen. Es reizt Ragdur natürlich, sich mit ihm zusammenzutun. Luri ist völlig hingerissen, weil der Bote ihr so viele Geschenke gebracht hat, und wenn er auch noch gut aussieht, wird sie ihn heiraten, ohne weiter nachzudenken. Deshalb kann ich sie nicht verlassen. Ich muss auf sie aufpassen, verstehst du?
Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, machte Hallog ein ernstes Gesicht. Dann hast du also kein gutes Gefühl?
Mehr als das. Ich habe eine schlechte Vorahnung. Ich kann es nicht in Worte fassen, aber …
Dann hör darauf, Eri. Du bist ein Nauraka, du darfst das nicht leicht nehmen. Das ist mehr als nur die Sorge oder gar Eifersucht eines Bruders. Bring deine Schwester zur Vernunft.
Woher willst du so viel über die Nauraka wissen, Hallog?
Junge, ich bin seit dem ersten Markt dabei, und das ist schon eine Weile her. Da war noch nicht mal dein Bruder geboren. Und natürlich ist auch bei den Landbewohnern das eine oder andere über euch bekannt. Nicht umsonst ist der Friedenskönig von Ardig Hall in Valia ein halber Nauraka, über den man überall spricht.
Eri kannte die Geschichte in groben Zügen, schließlich hatte Onkel Turéor sie gar nicht oft genug wiederholen können. Denn es war seine eigene Geschichte, wenn man es glauben durfte. Die Königssippe der Nauraka hatte einst das Tabernakel gefunden, ein Artefakt von ungeheurer Macht. Doch es hatte ihnen kein Glück gebracht, viele wollten das Tabernakel in ihren Besitz bringen, was beinahe zur Ausrottung des Volkes geführt hätte. Hallog wusste nichts über das Massaker, das Onkel Turéor heute noch verfolgte, doch er hatte Eri erzählt, was kurz vor Lurions Geburt in jenem Land Valia passiert war: Die Macht des Tabernakels war aktiviert worden und hatte sich zum Siebenstern gewandelt, der nun die Welt vor der Finsternis schützte. Und jener Halbnauraka hatte dabei entscheidend mitgewirkt und den Thron des Friedens bestiegen.
So betrachtet war Onkel Turéors Geschichte vielleicht doch kein Märchen oder etwas, das er nur vom Hörensagen kannte. Das Tabernakel war schließlich real, es stand hoch am Himmel, wie die Landgänger erzählten.
Warst du je in Ardig Hall?
Nein, Prinz. Es ist eine weite Reise von hier nach Valia, und ich bleibe lieber im Süden bei meinen Geschäften. Ich wüsste zudem nicht, was ich dem König anbieten sollte.
Eri dachte nach. Eines Tages … wenn Luri mich nicht mehr braucht … denkst du, ich könnte es wagen, dorthin zu gehen? Ich würde gern wissen, wie ein Nauraka an Land lebt.
Nun, er lebt wie jeder andere von uns auch. Was für dich interessant sein mag, er ist der Letzte seiner Art und zudem nur noch zur Hälfte ein Nauraka. Zur anderen Hälfte ist er ein Dämon.
Oh. Das hast du mir noch gar nicht erzählt …
Weil es nicht wichtig ist. Er ist ein Herrscher des Friedens, und außerdem ist seine Königin die edelste Frau unter den Sternen, die …
Sterne …
Ah. Nun möchtest du doch mit?
Eri lächelte. Eines Tages, Hallog. Eines Tages ganz bestimmt.
Der
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