Nazigold
verwundert, und nun dieser Sack. Gropper
starrt den Pensionswirt an. »Wie kommt dieser Sack hierher?«
»Jetz aber Sense!«, schreit Wondratschek außer sich. »Los, raus, das
ist meine Waschküch!«
»Den Sack nehme ich mit.«
»Der gehört mir! Ist mein Sack«, geifert Wondratschek wie ein
kleiner Giftzwerg und will ihn ihm entreißen.
»Ich kann Sie verhaften lassen und vernehmen«, droht Gropper
verärgert. »Dann müssen Sie aussagen, wie Sie an diesen Sack gekommen sind.«
Wondratschek hält eine Sekunde inne, als würde er überlegen, dann
flötet er in seinem gewohnten devoten Ton: »Aber bittschön, Herr Kriminal, doch
nicht so. Wir können doch friedlich sein. Ich hab mit dem dummen Sack nix zu
tun. Er war schon da, als die Madame Nafziger noch hier war. Er hat ihr gehört.
Die Selige hat ihn zurückgelassen. Machen S’ keine Geschichten jetz.«
Plötzlich funkeln seine Augen wieder böse. »Hat man davon, wenn man
freindlich ist und ein schenes Zimmer vermietet.«
Gropper steckt den Zellstoffsack ein und geht. Herr »Bittschön« ruft
ihm wütend nach: »Deitsche Polizei im Haus! Imma drufftrata, imma tippla, koa
Dohejm. Nie wieder deitsche Polizei! Hat man von seiner Guttmitigkeit«
***
Ein Mann drückt Gropper ein Päckchen in die Hand und eine
Adresse, wo er dieses Päckchen abgeben soll. Den Ort, wohin er dieses Päckchen
bringen soll, hat er noch nie gehört, auch der Empfänger ist ihm völlig
unbekannt.
Dazu gibt ihm der Mann eine Landkarte, damit er den Weg zu der
Adresse findet. Auf der Landkarte ist alles genau eingezeichnet: gelbe Wege,
rote Straßen, blaue Bäche und Flüsse mit Brücken und ein See, grüne Wiesen,
Wälder und Hügel und schwarze Ortschaften und frei stehende Häuser.
Quer über die Landkarte verläuft orange schraffiert eine breite
Zickzacklinie. Diese Linie, so weist er ihn mahnend an, darf er auf keinen Fall
überschreiten. Diese Linie ist eine Grenze. Eine gefährliche Grenze. Wenn er
sie irrtümlich überschreitet, geschieht etwas Unwiderrufliches. Also Vorsicht.
Höchste Gefahr! Er darf sich nicht verlaufen, sich nicht im Weg irren. Zwar
befindet sich der Empfänger des Päckchens diesseits der Grenze, dennoch ist
höchste Vorsicht geboten.
Gropper geht los. In der einen Hand das Päckchen, in der anderen
Hand die Karte, so geht er in die darauf abgebildete Landschaft hinein. Er
vergleicht das, was er vor sich sieht, mit den Angaben auf der Karte. Er sieht
einen Fluss und eine Brücke und findet beides eingezeichnet. Er sieht eine
Windmühle und findet auch diese Einzeichnung auf der Karte. Nun weiß er genau,
wo er sich befindet. Es kann also nichts passieren, er kann sich nicht
verirren.
Dann nähert er sich links einem See und rechts bewaldeten Hügeln.
Nun ist er irritiert: Auf der Karte sind sie seitenverkehrt eingetragen, rechts
der See und links die Hügel. Er dreht die Karte um. Nun stimmt überhaupt nichts
mehr. Er hatte sie richtig gehalten. Aber warum stimmen die Einzeichnungen auf
der Karte nicht mit der Wirklichkeit überein?
Er geht eine kurze Strecke. Die gefährliche, orange schraffierte
Linie ist noch weit entfernt, sie liegt hinter einem Fluss, den er noch lange
nicht erreicht hat. Doch nach ein paar Metern befindet sich der Fluss plötzlich
dicht vor ihm. Erschrocken bleibt er stehen. Wo ist nun die gefährliche Grenze?
Es hat sich alles verschoben. Er weiß nun gar nicht mehr, woran er sich halten
soll. Eben war noch alles klar und deutlich, nun ist alles völlig unsicher.
Ängstlich geht Gropper einige Schritte, da verschieben sich die
Einzeichnungen auf der Karte aufs Neue. Die Grenze ist nun plötzlich ganz nah.
Er wagt sich nicht mehr weiter. Er hat Angst, sie ungewollt zu überschreiten.
Oder hat er sie schon überschritten, und jeden Augenblick kann etwas
Schreckliches, Unwiderrufliches geschehen? Er dreht die Karte hin und her,
findet aber keine Anhaltspunkte mehr. Wo ist jetzt der See? Wo sind die
bewaldeten Hügel? Wo der eingetragene Fluss mit der Brücke?
Lähmende Angst packt ihn, Schweiß tritt auf seine Stirn. Wohin darf
er sich noch bewegen? In welche Richtung? Hat man ihn in eine Falle gelockt?
Warum? Immer noch hält er das Päckchen in der Hand, liest den Namen des
unbekannten Empfängers in dem unbekannten Ort. Aber wo ist dieser Ort auf
dieser Karte?
Man hat ihm eine falsche Karte gegeben. Es kann nicht anders sein.
Er muss zurück, die richtige Karte holen. Wer hat ihm eigentlich diesen Auftrag
erteilt? Er kannte
Weitere Kostenlose Bücher