Nazigold
Richtungen.
»Kruzifix!«, flucht der Alte. »Was sollma denn mit soam Siach
ofanga?«
Gropper geht dieser Unbekannte aus Nafzigers Jauchegrube nicht
aus dem Kopf. In dem kleinen Verwaltungshäuschen beim Friedhofsausgang will er
Näheres über ihn erfahren. Theres geht schon voraus zu ihrem BMW , den sie hinter dem Ausgangstor geparkt hat.
»Ach der«, sagt die Angestellte, schleppt einen Folianten heran und
wischt den Staub von ihrer grauen Bluse. »An den erinnere ich mich noch genau.
Der hat nämlich nicht gut gerochen. Die Amerikaner haben uns den einfach hier
vor die Verwaltung gelegt. In einem Plastiksack. Mit Verlaub, gestunken hat er.
Nach Jauche. Wie die Pest. Wir haben die Leiche von einem Bestattungsinstitut
abholen lassen. Aber auch danach hat es hier vor der Tür noch tagelang … na ja,
Sie wissen schon. Das vergisst man nicht.«
Sie schlägt die großen, linierten Seiten auf. Mit feiner
Tintenschrift sind dort penibel sauber alle Bestattungen auf dem
St.-Nikolaus-Friedhof eingetragen. Sie sucht den Monat Mai und fährt mit ihren
alten, faltigen Fingern von oben nach unten über die Zeilen mit den
Eintragungen.
»Da: 17. Mai voriges Jahr. Abteilung 7, Reihe 20,
Stelle 11. ›Unbekannt‹. Wahrscheinlich ein Unfall. Jedenfalls ein Fremder.
Keiner vom Ort. Das weiß ich deshalb noch so genau, weil zu seiner Beerdigung
kein Familienangehöriger kam. Fand ich merkwürdig.«
Gropper fragt nach dem beauftragten Bestattungsinstitut. Dort
müssten doch Unterlagen über diesen Toten vorhanden sein.
»Den Betrieb gibt’s nicht mehr. Der ist aus Mittenwald
verschwunden.«
Er fragt, wo sonst noch Dokumente über den Unbekannten zu finden
sein könnten.
»Vielleicht hat der Bürgermeister etwas in seinen Akten.« Sie sieht
ihn streng an. »Warum wollen Sie das denn wissen?«
Gropper weicht ihrer Frage aus. »Es kommt doch nicht oft vor, dass
auf einem Grabstein ›Unbekannt‹ steht.«
Die Angestellte winkt ab.
»Ach, da hätten Sie mal kurz nach dem Krieg hier sein müssen. Da gab
es ständig Tote, und keiner wusste, wer sie waren. Die sind dann in einem
Sammelgrab bestattet worden.« Damit schlägt sie den Folianten zu.
»Und?«, fragt Theres, als er in ihren roten BMW steigt.
»Nichts.«
»Hätt ich dir gleich sagen können. Niemand kannte diesen Mann.«
»Du hast von dem Unfall gewusst?«
»Hab davon gehört.«
»Du hast mir darüber nichts gesagt.«
»Ach Brüderchen, es gab so viele Unfälle, während du weg warst.« Sie
dreht den Zündschlüssel und startet. »Außerdem hat das nichts mit deinem Fall
Nafziger zu tun. Liegt doch schon ein Jahr zurück.«
»Ist aber doch merkwürdig, dass man diesen Unbekannten gerade in der
Jauchegrube vom Nafziger gefunden hat.«
»Na und? Er hätte auch in eine andere Grube fallen können.«
»Aber warum gerade in die vom Nafziger?«
»Da steckt nichts weiter dahinter.«
»Vielleicht gibt es doch einen Zusammenhang.«
»Nach so langer Zeit wirst du über den sowieso nichts mehr erfahren.
Unbekannt bleibt unbekannt.«
Gropper beschließt, das Thema zu wechseln. »Einen schönen Wagen hast
du«, lobt er ihren BMW , während sie in den Ort
hineinfahren.
Theres grinst.
Wieder muss Gropper an den Unbekannten denken. »Warum will Korbi
gerade diesen Grabstein nicht putzen?«, fragt er nachdenklich.
»Nicht wichtig, was der Depp macht oder nicht macht. Der weiß doch
selbst nicht, was er tut.«
Das glaubt Gropper nicht. Er ist überzeugt, dass Korbi das genau
weiß. Beim nächsten Treffen wird er ihn danach fragen. Irgendwas wird er sicher
aus ihm herausbekommen. Und am Montag wird er sich beim Bürgermeister nach dem
Unbekannten erkundigen.
***
Die Neonschrift »Crazy Horse« leuchtet orangerot in der
Abenddämmerung. Von dem bunkerartigen Bau sind im Halbdunkel nur die Umrisse zu
erkennen. Fremd und unheimlich, fast drohend ragt der graue Klotz zwischen den
alten, anmutigen Häusern hervor.
Gropper drückt wie schon am Vormittag den goldenen Klingelknopf, und
mit einem Krächzen öffnet sich die Eisentür. Laute Musik schlägt ihm entgegen.
Etwas Amerikanisches. Gropper hat dieses Musikstück schon oft in München
gehört, wenn er mit seinen Kollegen in den Amilokalen die Ausweise von
augenscheinlich Minderjährigen kontrollierte.
Im Lokal ist es dämmrig. Er kann kaum etwas erkennen. Violett
leuchten die weißen Hemden und Blusen im Raum. Gropper bekommt kaum Luft.
Dichter Zigarettenqualm und ein schwerer, süßlicher Duft nehmen ihm den
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