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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kohl
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großes helles Rechteck. Gropper
kann sich vorstellen, dass dort bis vor einem Jahr ein großes Hitler-Bild
gehangen hat.
    Schon jetzt, am frühen Mittag, ist die Gaststube fast voll besetzt.
Er nimmt am einzigen freien Tisch Platz und sieht sich um. Kein Bekannter hier.
Die Gäste sitzen über ihre Teller gebeugt und löffeln und gabeln und schneiden
ihr Fleisch, suzeln ihre Weißwürste aus, fieseln die Knochen vom Brathendl ab.
Gruppen von Männern hocken über ihren Bierseideln oder spielen Karten. Es
dauert lange, bis eine Bedienung kommt.
    Da trifft ihn ein Bierdeckel am Hinterkopf und fällt zu Boden.
Gropper dreht sich um und sieht, wie ihm etwas entfernt an einem Tisch ein paar
Männer den Rücken zukehren und die Köpfe zusammenstecken. Ihre Schultern
bewegen sich leicht, als würden sie kichern. Er klaubt den Untersetzer vom Boden
unter seinem Stuhl auf. »Brauerei Mittenwald« steht darauf. Auf der Rückseite
der braunen Pappe ist eine Felsenschlucht mit einem Holzsteg abgebildet,
daneben tief unten ein reißender Bach. »Besuchen Sie die Leutasch-Klamm in
Mittenwald«, empfiehlt eine Schrift.
    »De Lift varottn. Un d’Hotels voll ausländische Bagage. De kostn
nua«, hört er jemanden an einem der gegenüberliegenden Tische jammern. »Ois mia
de Nazis hattn, da wa Betrieb. Des wa a Gschäft! Oa Lift aufm Hausberg, a andra
aufm Kranzberg un a dritta am Luttensee. Aba jetz nix meha.
Scheißkapitulation.«
    Nach langer Zeit kommt endlich eine Bedienung. Die korpulente Frau
mit Semmelknödelgesicht baut sich vor Gropper auf und fragt: »Was wolln S’?«
    »Ich hätte gern eine Karte.«
    »Hama net.«
    Schnoddrig nennt sie zwei Gerichte. Gropper bestellt die
Leberknödelsuppe und den Sauerbraten, dazu ein Bier. Die Bedienung wendet sich
wortlos ab, und Gropper holt sich vom Zeitungsständer den »Hochland-Boten«. Da steht
ein Gast auf und nimmt ihm die Zeitung aus der Hand. »De mecht i«, sagt er,
kehrt zu seinem Platz zurück, legt die Zeitung auf seinen Stuhl und setzt sich
darauf.
    Ein paar Einheimische lassen sich demonstrativ an Groppers Tisch
nieder, obwohl eben ein Tisch frei geworden ist. Sie drängen sich dicht an ihn
heran. »Zvui Fremde hia. Da miaßma moi auframa«, brümmelt einer von ihnen, doch
so deutlich, dass Gropper es hören kann.
    Das Bier kommt erstaunlich schnell. Die Bedienung knallt das Glas
vor ihn auf die geschmirgelte Holzplatte.
    Drei andere Männer kommen hinzu und rücken die Stühle so eng
zusammen, dass er fast keinen Platz mehr hat. Dabei stößt einer der Männer
Groppers volles Glas um, und das Bier fließt über den Tisch. Die Absicht war
deutlich.
    »Passiert scho mal«, höhnt der Mann.
    »Reserl! Bring an Fetzn«, schreit ein anderer zum Schanktisch. »Mia
ham hia an Saubär.«
    Die Bedienung kommt mit einem Lappen und wischt mürrisch die
Tischplatte ab. »Passen S’ nächste Mal bessa auf«, weist sie Gropper zurecht.
Die Männer lachen hämisch.
    »Jetz kummt dea scho wieda«, hört Gropper seinen Nebenmann sagen und
schaut zum Eingang. Da steht Korbi. Er setzt sich beim Abstelltisch für das
schmutzige Geschirr in eine Ecke, direkt neben die Mülleimer. Kaum hat er Platz
genommen, stellt ihm die Bedienung einen Teller mit Essensresten hin. Gierig
stürzt sich Korbi darauf. Als er fertig ist, schubst sie ihm einen zweiten
Teller hin. »Aba nacha schleichst di«, sagt sie dazu.
    Gropper will warten, bis Korbi mit dem Essen fertig ist und wieder
geht. Dann will er ihm draußen die Golzmünze zurückgeben und ihn fragen, warum
er den Grabstein des Unbekannten nicht putzen will.
    Wieder schlingt Korbi die Essensreste hinunter.
    Die Gäste an Groppers Tisch murmeln: »Den hat der Esl im Galopp
verlorn.« – »A Schand für unsern Ort, der Schmarotzer.« – »Dass der Idiot
immer noch lebt. Den hams wohl vagessn zu vagasn.«
    Da hält es Gropper in der Gaststube nicht mehr aus. Er steht auf und
schiebt seinen Stuhl absichtlich laut zur Seite. In dem Moment kommt die
Bedienung mit der Leberknödelsuppe und dem Sauerbraten. »Ja was is jetz des?«,
fragt sie verärgert.
    Wortlos wirft Gropper das Geld für das verschüttete Bier auf den
Tisch und geht.
    »Jetz samma wieda unta uns«, kommt es zufrieden von einer der
zusammengeduckt dahockenden Gestalten an Groppers Tisch. »Jetz is de Luft wieda
rein.«
    Als Gropper draußen im Sonnenschein steht, atmet er tief durch.
Er sieht auf die Uhr. Es ist eins. Um zwei ist er mit dem Lodenmann auf dem
Bahnhofplatz

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