Nazigold
einer
unbekannten Person in einem unbekannten Ort abgeben soll, ist womöglich leer.
Wie in einem Labyrinth irrt er umher. Wo ist der Ausweg? Außerdem gibt es in
dem Traum diese gefährliche Grenze, die er auf keinen Fall überschreiten darf
und die auf der Karte immer ihre Lage ändert. Was ist das überhaupt für eine
Grenze?
Wieder kommen ihm Theres’ Worte in den Sinn, als er sie am Samstag
besuchte: »Du riskierst hier dein Leben. Die sind viel mächtiger als du. Du
wirst verlieren. Hör auf zu ermitteln. Gib’s auf und fahr wieder nach Hause.«
Er wird nicht aufgeben und nicht ohne Ermittlungsergebnis nach Hause
fahren. Kommt gar nicht in Frage. Morgen will er zur Lagerverwaltung und sich
Feigls und Kilians Entlassungstermin vom 31. Mai bestätigen lassen. Nur
damit er überhaupt etwas Konkretes in der Hand hat. Dann müssen sie zur
Befragung kommen, damit er ihre Aussagen zu den Ereignissen auf dem Steinriegel
protokollieren kann. So kann er den Mord an Rosi abschließen und einen Beleg
für die Verbindung zwischen Berger und Nafziger vorweisen. Damit wäre er schon
ein Stück weiter.
Groppers Magen knurrt. Er will eine Kleinigkeit essen. In einer
Konditorei am Bahnhofplatz hat er die Wahl zwischen Apfelstrudel und
Zwetschgendatschi. Am liebsten würde er beides bestellen. »Du bist ein ganz
Süßer«, sagt Luise immer, wenn sie ihm die Marmelade auf den Frühstückstisch
stellt. Sie kennt ihn eben gut. Gropper sieht, wie am Nachbartisch Gäste
Apfelstrudel serviert bekommen. So bestellt auch er Apfelstrudel.
»Ganz frisch gemacht«, sagt die Bedienung, und bald darauf hat er
vor sich auf dem Teller einen warmen Strudel mit hauchdünnem, knusprigem Teig,
eingebackenen Rosinen und Vanillesoße. Genau so, wie ihn Luise macht und früher
auch seine Mutter. Dazu trinkt er eine Tasse starken, duftenden Kaffee. Woher
haben die wohl die Kaffeebohnen?, sinniert er.
Als er die Konditorei verlässt und den Bahnhofplatz überquert,
muss er wieder zwischen den Gruppen von Schwarzhändlern und Käufern hindurch,
die sich den Anschein von Teilnahmslosigkeit und Langeweile geben. Da kommt der
Mann im Lodenmantel auf ihn zu, von dem er Bergers gefälschten Ausweis gekauft
hat.
»Habe neue Dokumente. Interessiert?«
Gropper ist interessiert. Er hat ja schon bei seinem ersten Kauf
einen dicken Fisch an Land gezogen.
»Was haben Sie denn?«
Der Händler öffnet seinen Mantel ein Stück und zieht aus einer der
Innentaschen eine prall gefüllte Tüte. Er fingert einige Papiere heraus,
während er sie mit dem Mantel abdeckt. Schnell bietet er Gropper seine
Dokumente an: einen SS -Ausweis, einen
Arierausweis, einen Entlassungsschein aus einem sowjetischen
Kriegsgefangenenlager, eine Hitler-Postkarte, einen abgetrennten Judenstern.
Jedes Mal winkt Gropper ab. Dann holt der Mann einen gefalteten Papierbogen
hervor.
»Fünfhundert Mark.«
Gropper wird blass. »Fünfhundert Mark?«
»Dann nicht.« Der Mann will das Dokument wieder einstecken.
»Was ist das denn? Bevor ich es kaufe, muss ich es sehen.«
»Aber schnell.« Der Händler faltet das Papier auseinander und hält
es fest in der Hand, während er sich verstohlen nach allen Seiten umsieht.
Gropper sieht einen englischen Text und will den Inhalt übersetzen,
doch das dauert dem Mann zu lang. Er drängt zum sofortigen Kauf: Ja oder Nein.
In der Eile sieht Gropper nur den Verfasser des Schreibens, das CIC Commanding Officer Detachment Mittenwald, und den
Adressaten: Anton Nafziger. In der Mitte des Textes kann er beim Überfliegen
der Zeilen lesen: »several Million Dollars in gold bars, gold coins and
currency«.
Spontan entscheidet er sich zum Kauf. Dieses Dokument muss er haben.
Aber fünfhundert Mark? So viel Geld! So eine Summe hat er natürlich nicht bei
sich.
Er überlegt. Auch das dauert dem Händler zu lang. In Groppers
Jackentasche klimpern die beiden Goldmünzen, die eine von Korbi und die andere,
die er unter der Fußmatte von Sattlers Buick fand. Die will er aber behalten.
Der Händler zeigt auf Groppers Schweizer Armbanduhr, die ihm sein
Schwiegervater in St. Gallen geschenkt hat.
»Kommt gar nicht in Frage«, wehrt Gropper ab.
Der Händler zeigt auf Groppers Ehering.
»Den erst recht nicht!«
Gropper muss sich entscheiden. Schweren Herzens drückt er dem
Lodenmantelmann eine seiner beiden Goldmünzen in die Hand. Der Schwarzhändler
betrachtet sie verstohlen und grinst, als wäre es auf diesem Platz üblich, mit
so einer Währung zu handeln.
Weitere Kostenlose Bücher