Nazigold
Existenz nicht aufs Spiel
setzen. Um keine Scherereien zu haben, schwieg er.
Die Stelle, an der das geschehen ist, sieht noch genauso aus wie
damals. Das Marterl mit dem Gekreuzigten steht immer noch da. Nur ist
inzwischen mehr Moos über das kleine Dacherl gewachsen.
Gropper fährt weiter und erreicht nach einer Weile die hohen weißen
Umfassungsmauern des Internierungslagers. Direkt nach Kriegsende hatten die
Amerikaner in der Kaserne die von ihnen befreiten ausländischen
Kriegsgefangenen provisorisch untergebracht, ebenso Häftlinge aus den KZ s, auch aus Dachau. Anschließend quartierten sie Flüchtlinge
aus dem Osten ein. Jetzt sind in den Gebäuden ehemalige Wehrmachtsangehörige
gefangen. Hier wird von den Amerikanern durchgesiebt, geprüft, kontrolliert und
verhört, wer sich während der Nazizeit auf welche Weise schuldig gemacht hat.
Das allermeiste aber kann nicht geklärt werden. Es fehlen die nötigen
Unterlagen. Es fehlen Beweise. Oft wissen die Amerikaner gar nicht, wen sie vor
sich haben. Sie sind auf die Eigenauskünfte der Befragten angewiesen. Die sind
natürlich immer Unschuldslämmer. Und wenn die Amerikaner tatsächlich Ausweise
vorliegen haben, sind diese oft gefälscht. Ein Ausmisten dieses Augiasstalles
ist unmöglich.
Aus einem alten Buch mit griechischen Sagen, in dem er als Kind gern
las, weiß Gropper, dass Herakles es nur durch eine List schaffte, den Stall des
Augias auszumisten: Er ließ einen Fluss durch den Rinderstall strömen. Doch ein
amerikanischer Herakles könnte diese Tonnen von Nazimist auch dann nicht
ausräumen, wenn er die Isar umleiten und das Internierungslager fluten ließe.
Ganz in der Nähe der Umfassungsmauer befindet sich das Häuschen, in
dem Nafziger als Kasernen-Kommandeur gewohnt hat. Gropper hält an und dreht das
Seitenfenster seines DKW s herab. Er erinnert sich
daran, wie er hier seinen Schul- und Jugendfreund Anton besuchte. Die gelblich
getünchten Mauern, die hölzernen Fensterläden, die Spalierlatten an den Wänden,
der spitze Giebel – alles sieht noch so aus wie früher. Sogar das Hirschgeweih
hängt noch über dem Hauseingang. Früher hatte er den Eindruck, das Haus sei
riesengroß. Nun ist es ein einfaches kleines Häuschen.
Das hat Gropper schon öfters erlebt. Als Kind und Jugendlicher
erschienen ihm die Häuser so groß, die Wege so lang, die Wiesen so weit, die
Berge so unerreichbar groß, die Tage so endlos, besonders im Sommer, und sogar
der Himmel so unglaublich hoch. Jetzt ist alles viel kleiner, als er es in
Erinnerung hat, wie geschrumpft. Die Häuser und die Wiesen sind kleiner, die Wege
und die Tage kürzer, und der Himmel scheint ihm manchmal auf den Kopf zu
fallen, besonders bei Regen.
Obwohl das Häuschen nach außen hin unverändert scheint, ist es ihm
nun fremd.
Gepäckkarren und Kinderwagen stehen vor dem Eingang, Kinder rennen
um das Haus herum, eine Gruppe von Männern steht palavernd am Staketenzaun, aus
dem die meisten Latten herausgebrochen sind. Ständig gehen Menschen in
zusammengeflickten Kleidern aus und ein und rufen sich etwas in einer Sprache
zu, die Gropper nicht versteht. Er fragt sich, wie sie alle in den wenigen
kleinen Zimmern Platz haben können. Das Häuschen scheint vollgestopft mit
diesen fremden Menschen.
Zwischen zwei Telefonmasten befestigt jemand hinter Bettlaken die
Wäsche. Als die Person hervortritt, sieht Gropper: Es ist Fanny Jais. Wie bei
ihrem ersten Treffen trägt sie ihre ausgewaschene Kittelschürze und hat die
Haare mit einem Tuch hochgebunden. Er erinnert sich, dass Fanny ihm bei dieser
ersten Begegnung erzählt hat, Nafziger habe ihr nach seinem Umzug in die Villa
in seinem alten Häuschen eine Wohnung überlassen. Gropper geht auf sie zu.
»Sans scho wieda da?«, empfängt sie ihn unerwartet harsch. »Gebens
denn ga koa Ruha net?«
Erst als er sie fragt, wie es ihr geht, mildert sie ihren brüsken
Ton. »Des Luada, des mistige, hat mi entlassn. Hab i Eana doch glei gsagt.«
»Von was leben Sie denn jetzt?«
»I putz des Haus da. I hab mei Lebn lang nua putzt.«
»Ich muss Sie etwas fragen.«
»Scho wieda? I denk, es is ois voabei.«
Gropper zeigt ihr wie schon am Montag das Passfoto von Berger.
»Kennen Sie den?«
»Gwieß kenn i den.«
»Als ich Ihnen das Foto bei der Vernehmung zeigte, sagten Sie,
diesen Mann hätten Sie noch nie gesehen.«
»Weil i da Angst hat, es passiert mia was, wenn i de Gschicht
verrat. Es laufn ja no vüi oide Nazis rum. Un außadem is da grad
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