Nazigold
hat er nur?, fragt sich Gropper. Passt es ihm nicht, dass ich zu
ihm gekommen bin? Dann soll er es doch gleich sagen.
Er schaut zum Herrgottswinkel mit dem armseligen hölzernen Kruzifix.
Wie bei den Feigls befindet sich daneben ein heller rechteckiger Fleck an der
Wand, wo ab 1933 das große farbige Hitler-Bild hing. Unter dem Kruzifix sind
auf einer Kommode zwei eingerahmte Porträtfotos mit Trauerflor und zwei
Todesanzeigen aufgestellt. Gropper tritt näher heran und erkennt auf den Fotos
Kilians Brüder: Sepp und Rudolf. »Mein Beileid«, sagt er betroffen.
»Sind net alt wordn, der Peps und der Rudi«, kommt es langsam von
Kilian. »Mir hat’s nur den Arm weggehaun.«
Gropper liest die erste Todesanzeige.
Ein edles Herz hat aufgehört zu schlagen. –
Im Kampf gegen den Bolschewismus fand am
12.7.1942
getreu dem Fahneneid bei den schweren Kämpfen
um Charkow
Josef Kilian, Obergefreiter im Gebirgsregiment 98,
Inhaber des E.K. II und des Inf.
Sturmabzeichens,
im Alter von dreißig Jahren den Heldentod für
Führer und Vaterland. –
Das Heiligste, das Beste, Dein Leben gabst Du fürs
Vaterland.
Den Sepp hat er gut gekannt. Mit dem kleinen Rudolf im
Schlepptau trieb er gern seine Scherze mit dem großen Bruder und den
Schulfreunden, die dieser mit nach Hause brachte. Gropper erinnert sich an
einen Nachmittag, an dem die beiden ihnen in einem Gebüsch auflauerten, um sie
zu erschrecken. Ihre Gesichter hatten sie mit Kohlen geschwärzt und einen
Blecheimer aus der Waschküche gemopst, in den sie hineinjaulten und -krächzten,
dass es ihm und Kilian für einen Moment tatsächlich kalt den Rücken hinunterlief.
Gropper lächelt traurig und liest die zweite Anzeige.
Zur frommen Erinnerung im Gebete
an unseren lieben, unvergesslichen Sohn und
Bruder Rudolf Kilian,
Oberjäger in einem Geb.-Jäg.-Rgt., Inhab. des E.K. II ,
welcher am 28.3.1943 im 28. Lebensjahr
für unser Vaterland
fern der Heimat im Osten getreu seinem
Fahneneid
den Heldentod starb. –
Süßes Herz Maria, sei meine Rettung!
»Drei Messn hab ich für sie lesn lassn«, erklärt Kilian. »Aber
Krieg ist eben Krieg. Mich hätt’s genauso treffn könn wie den Peps und den
Rudi.«
Über den beiden Porträtfotos mit dem Trauerflor und den
Todesanzeigen hängt direkt neben dem Kruzifix links und rechts je ein
eingerahmter Text an der Wand. Eine Siegerurkunde bescheinigt in fetter
Frakturschrift: Bei den Wettkämpfen im Handgranatenwerfen 1. Sieger
mit 61,00 m. 1941 Lt. Jörg Kilian. Daneben prangt der Stempel
mit dem Reichsadler und dem Hakenkreuz. Auf der anderen Seite des Kruzifix
hängt in holzschnittartiger Schrift das rundherum mit lustigen Zeichnungen
versehene »Jagerlied der 98er«.
Ja wir 98er Jager, wir san eisern,
wir halten zam in Freud und Leid.
Wir wissen unsre Feinde zu meistern
und kommen stets zur rechten Zeit.
Bei den Maderln in der Heimat
sind wir allzeit gern gesehn.
Und das Edelweiß am Hut
und die Herzen voller Mut.
Ja wir san Jagersleut,
die ham a Schneid!
Kilian scheint es zu genießen, dass Gropper diesen Text liest.
»Ist mein Lieblingslied«, sagt er stolz. »Ja, Nagelschuh und Lodn. Das warn
wir.«
Gropper spürt, dass er nun zum Reden aufgelegt ist. »Wie war’s im
Krieg?«, fragt er, und gleich legt Kilian los.
»Saugut. Oberjäger. Gebirgsjägeroffizier. Weiße Querstreifn auf den
Schulterklappn. Edelweiß am Ärml und an der Mütz. Gebirgsflak und MG . Dann Scharfschütze. Schießn, schießn! Und immer
treffn. Baff! Und Skifahrn. Großartig.«
»Es war also eine schöne Zeit.«
»Und wie. Durch den Krieg hab ich die Welt kennenglernt. Fremde
Länder. Kaukasus. Vom Kluchor-Pass runter nach Suchum zum Schwarzn Meer.
Tscherkessk. Der Kuban. Ohne Krieg wär ich da nie hingkommn. Das war schon was
Schöns. Tapferkeitsauszeichnungn, Nahkampfspangn, Ritterkreuz zum Eisern Kreuz.
Aber meine Auszeichnungn verkauf ich net auf dem Schwarzmarkt wie die andern.
Die Amis sind ganz wild danach. Die geb ich net her. Das sind meine Verdienst
vom Krieg.« Im selben Atemzug fügt er hinzu: »Mir habns ein paar Neger
einquartiert, während ich im Lager war. Neger! Ich hab gar net gwusst, dass wir
gegn Afrika Krieg gführt habn.«
»Bei den amerikanischen Soldaten gibt es eben auch viele Neger.«
»Sind aber liebe Neger. Hätt ich gar net denkt.«
»Warum nicht?«
Kilian übergeht die Frage. »Und gscheit sind sie auch. Habn sogar
auf der Universität studiert. Hätt ich gar net
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