Nazigold
zieht die Handbremse straff an, steckt seine Ausweispapiere in die
Brusttasche seiner Jacke und steigt aus. Sorgfältig verschließt er den Wagen.
Nun also weiter zu Fuß.
Hier war Gropper schon einmal. Vor mehr als zwanzig Jahren, als er
mit Xaver und dessen Vater Ludwig durch den Wald streifte. Ludwig Feigl
erklärte ihnen an jenem Tag den Unterschied zwischen einer Rotbuche und einer
Weißbuche, wie die Rinde eines Ahorns, einer Eibe und einer Lärche aussieht,
wie man an den Losungen erkennen kann, ob sie von einem Rotwild oder einem
Schwarzwild stammten, und wie man einen Fuchsbau von einem Dachsbau unterscheidet.
Damals sind sie allerdings nicht bis zum Steinriegel
hinaufgestiegen, sondern nur in der unteren Region umhergewandert.
»Da obn is des zgfährli füa eich Buam«, beschied sie der Feigl
Ludwig.
»Warum? Was ist denn da?«, fragten sie ihn, denn was gefährlich war,
interessierte sie besonders.
»Wilderer soll’s da gebm. Da is a scho oana erschossn woan, dea so
an Wilderer fanga wollt«, raunte der Oberförster. »Da geh a i net gean rauf.
Nua wenn i unbedingt muaß.«
Seitdem ist der Steinriegel für Gropper ein unheimlicher Ort.
Mit dem Wetter hat er heute Glück. Die Junisonne meint es gut mit
ihm. Nur wenige Wolken ziehen am Himmel, und sogar wenn er hier im Schatten der
Bäume steht, spürt er ihre wärmende Kraft. Oben wird es sicher kühler und
windig werden.
Das Einzige, weswegen er Bedenken hat, sind seine Schuhe. Die
flachen Halbschuhe eines Städters. Nicht gerade geeignet für den Steinriegel.
Er hätte seine Haferlschuhe anziehen müssen. Doch die stehen in seinem Pensionszimmer.
Er hat heute Morgen einfach nicht daran gedacht, in dieses halbwegs geeignete
Schuhwerk zu schlüpfen. Nun ist es zu spät, er muss weiter in seinen leichten
Sommerlatschen.
Der erdige Weg ist hier etwa zwei Meter breit, jedoch nass und
voller Wasserlöcher. Der Boden hat die Gewittergüsse von vor ein paar Nächten
noch nicht aufgesaugt. Gropper umgeht die dunklen Tümpel, und wenn gar kein
Durchkommen ist, drückt er sich an dem ein wenig höher gelegenen Wegstreifen
direkt am Hang entlang, wo der Boden etwas trockener ist. Balancierend setzt er
vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um nicht in die Lachen auszurutschen.
Dazu muss er über dicke, mit Moos überwachsene Wurzeln steigen. Schon nach
wenigen Metern hat er große schwarze Erdklumpen an den Schuhen.
Obwohl der Weg weiter ansteigt, wird der seitliche Hang flacher. Ein
leicht hügeliges Gelände tut sich vor ihm auf, und er betritt einen hellen
Buchenwald. Sonnenlicht flirrt durch das Gitter der Baumkronen und lässt das
Moos vor ihm grün aufleuchten. Die Lichtflecken tanzen hin und her, je nachdem
wie der Wind die Baumwipfel bewegt. Er bleibt einen Moment stehen und lauscht.
So still ist es ringsum. Er hört nur das Rauschen der Baumkronen. Wo sie zu
dicht sind, liegt Halbschatten auf dem vermoderten Laub. Hier ist es kühl und
feucht. Mit einem Laubbüschel wischt er die Erdklumpen von seinen Schuhen.
Irgendwo hämmert ratternd ein Specht.
Der Weg führt ihn weiter an dicken Buchenstämmen entlang, an denen
tellerförmige rötliche Pilze wachsen. Im Vorübergehen bricht er ein Stück davon
ab und zerreibt es in der Hand. Wie feuchtes Mehl zerkrümelt es zwischen seinen
Fingern.
Er muss über einen dicken Stamm klettern, der quer über dem Weg
liegt. Der Baum wurde mit seinem gesamten Wurzelwerk aus der Erde gerissen, das
nun senkrecht aufgerichtet steht. Das dichte Flechtwerk der Wurzelballen ist
zugepappt mit schwarzer Erde.
Vor ihm schwebt in einem breiten Sonnenstrahl eine dichte Wolke
tanzender Mücken auf und nieder. Er will ihnen ausweichen, doch da erscheint ein
weiterer Schleier aus winzigen, hin und her sausenden Punkten vor ihm. Er muss
hindurch und schlägt mit der flachen Hand in die Wolke. Sie stiebt auseinander,
sammelt sich aber sofort wieder neu. Gropper hält die Luft an, um den
Mückenschwarm nicht einzuatmen, und geht schnell hindurch.
Seitlich des Weges wuchert dichtes Moos, bedeckt von herabgefallenen
Rindenstücken. Er erinnert sich daran, wie er und Theres einmal als Kinder in
einem Wäldchen bei ihrem Bauernhof kleine Häuschen bauten. Zwei Zweige mit
einer Gabel in die Erde gesteckt, darüber ein kleiner Stecken. Das war der
First des Häuschens. Als Wände stellten sie Baumrinden auf, die kleinen
herausgebrochenen Öffnungen waren die Türen. Als Dach nahmen sie große, aus der
Erde herausgeschälte
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