Nazigold
Weg nicht ganz
fertiggestellt. Oder mit den Mulis haben sie eine Abkürzung genommen, einen
Pfad, den Gropper nicht kennt. Ihm wird klar: Er ist auf einen Irrweg geraten.
Wieder mal. Er steckt in einer Falle, geht aber weiter.
Links fällt der Hang steil ab und verengt sich zu einer Schlucht.
Gropper will sehen, wie tief es da hinabgeht, kann aber nichts erkennen.
Dichtes Buschwerk und hinabgestürzte Bäume versperren den Blick nach unten. Und
gerade hier zwingt ihn die Route, nach links abzubiegen. Er muss über ein
schmales Holzbrückchen. Zwei etwa fünfzehn Meter lange Baumstämme liegen über
der Schlucht, an beiden Seiten nur mit Seilen an Felsen befestigt. Darüber sind
quer kleine Bretter genagelt. Einige fehlen, sodass man kleine Sprünge machen
muss, um den nächsten Halt zu erreichen. In Hüfthöhe ist ein Handseil gespannt,
ebenfalls zu beiden Seiten an Felsen festgezurrt.
Gropper überlegt, ob er es riskieren soll, diese vermaledeite
Holzkonstruktion zu betreten. Je länger er überlegt, umso stärker wachsen seine
Bedenken. Es erinnert ihn an seinen ersten Sprung vom Dreimeterbrett im
Mittenwalder Schwimmbad. Als er als Kind wegen einer Mutprobe auf dem
Sprungbrett stand und hinunterschaute, erschrak er. Von unten hatten diese
drei Meter nicht so hoch ausgesehen, doch nun wurde ihm fast schwindelig. Und
je länger er hinabblickte, desto tiefer schien es hinabzugehen. Von unten
schrien Xaver, Jörg und Anton: »Feigling! Feigling!«, und feixten. Das konnte
er sich nicht gefallen lassen, schloss die Augen, hielt sich die Nase zu und
sprang in die Tiefe. Er klatschte ins Wasser und tauchte befreit und lachend
wieder auf. Dabei zog er schnell seine Unterhose hoch, die ihm beim
Aufplatschen bis zu den Knien hinuntergerutscht war.
»Reschpekt«, sagten die drei, als er sich aus dem Wasser schwang und
seine Hose noch höher zog.
So überlegt er auch jetzt nicht länger und wagt den ersten Schritt
auf das Brückchen. Vorsichtig wippt er auf und nieder, hin und her. Der Bau
scheint einigermaßen stabil zu sein. Und so fasst er das Handseil und geht
Schritt für Schritt voran. Wo Bretter fehlen, muss er springen. Als er in der
Mitte steht, schaukelt die Anlage. Noch fester hält er sich am Handseil fest.
Doch sollte der ganze Laden zusammenkrachen, würde ihm dieses Seil auch nichts
mehr nützen. Kurz schaut er hinab. Er erschrickt, wie tief es da hinuntergeht.
Die Felswände werden nach unten hin immer enger, und am Grund schäumt ein
reißender Bach. Schnell wendet er den Blick wieder ab. Er will nicht
ausprobieren, ob er tatsächlich schwindelfrei ist.
Unmöglich, dass die Mulis damals mit ihrer Zentnerlast auf dem
Rücken über diesen Steg balanciert sind. Noch dazu nachts. Wo aber ist die
Straße, die sie unter ihren Hufen hatten?
Noch eilig fünf, sechs Meter, dann hat er es auf die andere Seite
geschafft. Ihm zittern die Knie. Er muss sich setzen. Auf einem halb verfaulten
Baumstrunk lässt er sich nieder und schaut auf die Holzkonstruktion. Über
dieses wackelige Ding geht er nicht mehr zurück. Das steht für ihn fest. Für
den Rückweg muss er die Piste finden, die Nafziger mit den Amerikanern benutzt
hat.
Neben ihm fällt ein Tannenzapfen ins Gebüsch. Aufgeschreckt flattert
ein Wildhuhn aus dem Busch und schwirrt girrend auf die andere Seite der Schlucht.
Gropper geht weiter.
Je höher er steigt, umso steiniger wird der Wald. Mehr und mehr
ragen Felsen aus dem Pfad. Wasserläufe spülten den letzten Rest Erde weg,
legten die darunterliegenden Felsspitzen frei. Der Weg wird zu einer Runse.
Schnaufend kämpft er sich zwischen den Felsbrocken hindurch. Fichtenäste, von
denen von Zweig zu Zweig filzige Flechtenfahnen herabhängen, neigen sich über
ihn. Eine alte Eiche greift mit ihren zerzausten Armen in die Luft. Mit grellem
Pfiff flattert ein Habicht hoch. An einer Felsenwand sieht Gropper seltsame
Zeichen in den Stein geritzt. Wahrscheinlich militärische Informationen, die er
nicht kennt.
Dann steht er plötzlich auf einer Lichtung. Stürme und Gewitter
haben die Stämme der Fichten und Tannen in der Mitte abgebrochen und eine
gewaltige Schneise geschlagen. Die spitzen Splitter der Bruchstellen leuchten
weiß. Von dieser Lichtung aus hat Gropper einen freien Blick auf den
Walchensee, der im Sonnenlicht glitzert. Er kann Sassau erkennen. Schwarz liegt
die Insel da. Er muss an Rosi denken, die er dort unten am Ufer fand, von Maden
überkrabbelt. Hoch über ihm kreist am wolkenlosen Himmel
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