Nazigold
halb
durchsichtige, milchige Seiten mit Spinnwebenmustern geheftet.
Maier deutet auf einige Fotos. »Das war 1917. Da haben wir einen
Klassenausflug gemacht in die Partnachklamm. Da wart’s ihr noch Kinder. Du
warst bei mir in der zweiten Klasse.«
Gropper erinnert sich: In der Klamm war es dämmrig, kalt und nass.
Überall tropfte es herab. Und an manchen Stellen des Weges, an denen es direkt
hinter dem Holzgeländer tief in die Felsenschlucht hinabging und unten die
Partnach tobte, wagte er gar nicht, hinabzuschauen in diesen tosenden Schlund.
Er war froh, als er wieder aus der Klamm heraus war.
Maier blättert weiter. »Das hier war 1925 beim Besuch des neuen
Wasserkraftwerks. Ein Jahr nach der Einweihung. Da seid ihr alle zusammen: der
Feigl, der Kilian, der Nafziger und du. Da hattest du schon deine blonden
Locken. Und das hier, da waren wir zum Schulabschluss 1926 auf dem Herzogstand.
Ihr wart schon Jugendliche, und die Mädchenklasse war auch dabei. Da hat’s so
manche Liebschaft gegeben. Heimlich natürlich.« Maier zeigt auf ein Foto. »Das
da bist du. Du legst gerade den Arm um Wilmas Schultern. Sie schaut ganz
geniert. Warst sehr verliebt in dieses Mädel. Hab ich schon mitbekommen
damals.«
Gropper wird es warm, als er das gelbliche Foto ansieht. »Weißt du,
was aus ihr geworden ist?«, fragt er gespielt beiläufig.
»Noch vor Kurzem hab ich sie im Ort gesehen. Wir haben uns gegrüßt,
sonst nichts.«
Sie wohnt also wirklich noch hier. Nach der Erzählung der Bedienung
in der Wirtschaft ist das nun schon der zweite Hinweis. Ihm wird heiß. Er
versucht, sich seine Hitzewallung nicht anmerken zu lassen, doch Maier hat sie
längst bemerkt.
»Die alte Liebe glüht also immer noch.«
»Weißt du, wo sie wohnt?«
Verschmitzt blickt Maier ihn an. »Das weiß ich nicht. Aber das
findest du schon heraus, wenn du sie wiedersehen willst. Wo die Liebe treibt,
ist kein Weg zu weit.« Nach einer Weile fügt er hinzu: »Du warst immer ein
stiller Bub. Mit deiner Liebe zum Wald. Und zu Wilma.«
Gropper will diesem Thema entgehen und blättert die Seite im Album
schnell um.
Da schaut ihm Maier direkt ins Gesicht. »Bist du gar wegen ihr nach
Mittenwald gekommen?«
Das trifft Gropper bis ins Mark. Er weiß sich nicht anders zu
helfen, als noch mal schnell umzublättern. Maier scheint verstanden zu haben
und belässt es dabei.
Vor ihnen ist nun ein Foto, das Kilian als Bub zeigt. Er trägt eine
kurze Lederhose und hält eine Steinflitsche in der Hand.
»Der Jörg. Dieser Rotzlöffel mit seiner plärrenden Stimme«,
kommentiert Maier. »Immer wollte er recht haben. Er hatte ein wahnsinniges
Geltungsbedürfnis. Man musste sich vor ihm in Acht nehmen. Manchmal hat er
Mitschülern von hinten in die Kniekehle getreten, dass sie zusammensackten.
Darüber freute er sich hämisch. In sein Abschlusszeugnis hab ich geschrieben:
›Sein Betragen ist unreif und gibt Anlass zur Sorge.‹«
Gropper betrachtet noch eine Weile das Foto, dann fällt ihm ein: »Du
wolltest mir noch sagen, warum nach deiner Meinung die Nixe den Sattler nicht
holt.«
»Weil er eine sehr gute Tat vollbracht hat.«
»Der Sattler? Eine gute Tat? Kann ich mir nicht denken.«
Maier sieht Gropper ernst an. »Der Korbi ist sein uneheliches Kind.«
Gropper muss sich das zweimal sagen lassen.
»Da staunst du, was?«
»Das hab ich nicht gewusst.«
»Das weiß keiner in Mittenwald. Außer mir.«
»Und wieso weißt du das?«
»Als der Sattler einmal nach einer Parteifeier sturzbesoffen war,
hat er es mir gestanden. Mich hat’s damals genauso umgehauen wie dich jetzt.«
»Und die Mutter?«
»Sattler kam 1918 als Achtundzwanzigjähriger aus dem Ersten
Weltkrieg zurück. Aus Frankreich. Mit einer jungen Französin, Yvonne hieß sie.
Sie diente bei den Sattlers als Haushälterin. Eines Tages war sie schwanger und
bald darauf verschwunden. Zehn Jahre später, 1928, tauchte Korbi in Mittenwald
auf. Keiner wusste, wer er war. Außer Sattler. Es entstanden die wildesten
Gerüchte, woher der Bub stammen könnte, das weißt du ja sicher noch. Yvonne hat
man nie wieder gesehen. 1933 wurde Sattler Ortsgruppenleiter und zugleich
Bürgermeister. Als um 1940/41 überall die behinderten Kinder abgeholt wurden,
um sie zu vergasen, hat Max Sattler auch da mitgemacht. Fünf Kinder vom Ort hat
er in die Euthanasie geschickt. Von all dem will er heute natürlich nichts mehr
wissen, und die Tätigkeitsberichte hat er bei Kriegsende alle verbrannt. Aber
den Korbi
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