Nebel über dem Fluss
dem Bildschirm über ihm ein abgehalfterter Fußballmanager sich für die Unübertrefflichkeit von British Gas verbürgte.
»Ist das Ihr kleiner Sohn?«, fragte Lynn.
»Ja. Karl.«
»Wie ist er denn zu der Schramme gekommen?«
Divine dankte der Schwester von der Intensivstation und legte auf: Mr Raju war aus dem Aufwachraum zurück, hatte ein Beruhigungsmittel bekommen und schlief jetzt. Sein Zustand war weiterhin ernst, aber stabil. Vor dem kommenden Morgen würde er wahrscheinlich nicht kräftig genug sein, um mit jemandem zu sprechen.
»Und? Du hast deinen Entschluss nicht geändert?«, fragte er, als Naylor hinter ihm die Dienststelle betrat.
»Welchen Entschluss?«
»Heute Abend Debby mitzubringen.«
Naylor warf die beiden Hefter auf seinen Schreibtisch: Vernehmungsprotokolle zum Überfall auf den Taxifahrer. Unendlich viel Text und dennoch keine eindeutige Identifizierung. Zwei Jugendliche in Stiefeln und Jeans, das konnte so gut wie jeder sein. »Weshalb sollte ich?«, fragte er.
Divine grinste dreckig. »Letzte Gelegenheit für ein kleines Extra.«
»Vergiss es einfach, Mark, okay?« Naylor öffnete den ersten Hefter und begann zu lesen. Es hatte seiner ganzen Überredungskunst bedurft, Debbie zum Mitkommen zu bewegen. »Du willst mich doch gar nicht dabeihaben«, hatte sie gesagt. »Ich bin dir nur im Weg. Allein amüsierst du dich bestimmt viel besser.« Es hatte Zeiten gegeben, damals, als ihre Ehe auf der Kippe stand, da wäre Naylor widerspruchslos einverstanden gewesen. Hätte sich auf die Chance gestürzt, allein mit den Jungs um die Häuser zu ziehen. Das hatte sich geändert. Jetzt ging es ihm ganz anders. »Na schön«, hatte er erwidert, »wenn du nicht mitkommst, gehe ich auch nicht.« Das hatte gewirkt.
Er sah auf die Uhr und dann auf den Berg an Arbeit vor ihm auf dem Schreibtisch und beschloss, Debbie rasch anzurufen.
Lynn saß bei Resnick im Büro und berichtete ihm von ihrem Besuch. Zuvor hatte Resnick erst Gary James und dann Nancy Phelan befragt, Gespräche in stillen, stickigen Räumen, während das Zählwerk des Recorders einen langen Nachmittag heruntertickte.
Mal zerknirscht, mal erbost war Gary immer wieder zu hitzigen Beschwerden über faulendes Holz, schiefe Türen und klamme Feuchtigkeit an den Wänden zurückgekehrt. »Aber wenn Sie sich so aufführen wie heute Nachmittag«,hatte Resnick gesagt, »erreichen Sie gar nichts. Das muss Ihnen doch klar sein.«
»Ach ja?«, entgegnete Gary. »Dann sagen Sie mir doch, wie’s geht.«
Resnick, der darauf nichts zu antworten wusste, hatte ihn schließlich dem Gewahrsamsbeamten übergeben, und nun saß Gary James wütend in einer Zelle.
Nancy Phelan blieb dabei, dass Gary ihr körperlich nichts angetan habe, sie habe sich keinen Moment wirklich gefährdet gefühlt. Das Ganze sei einfach außer Kontrolle geraten.
»Er hat Sie also nicht geschlagen?«, fragte Resnick.
»Nein.«
»Überhaupt nicht angerührt?«
»Na ja«, sagte sie nach einer kleinen Pause und fasste sich an den Kopf. »Er hat mich an den Haaren gezogen.«
»Und Sie hatten keine Angst?«
»Nein, die hatte er.«
Daran musste Resnick denken, als Lynn ihm das entstellte Gesicht des kleinen Jungen beschrieb, das von einem dunkel verfärbten Bluterguss beinahe zugeschwollene Auge.
»Und die Mutter behauptete, der Junge wäre gestürzt?«, fragte Resnick.
Lynn nickte. »Als er zur hinteren Tür hinauslaufen wollte. Die Tür war irgendwie aus den Angeln gebrochen, ich weiß nicht genau, und sie und Gary wollten sie gerade wieder einhängen, als der Kleine angerannt kam und direkt in sie hineingedonnert ist.«
»Möglich wäre das doch?«
»Ja.«
»Aber Sie glauben ihr nicht?«
Lynn schlug die Beine erst zur einen, dann zur anderen Seite übereinander. »Ich würde ihr vielleicht glauben, wenn die Umstände anders wären. Aber dieser Gary James mit seiner Vorgeschichte …«
»Nichts deutet auf häusliche Gewalt.«
»Irgendetwas muss ihn wahnsinnig aufgebracht haben, schon bevor er aufs Wohnungsamt kam. Das Warten allein kann es nicht gewesen sein.«
»Hm …« Resnick stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum. Durch die Scheibe konnte er Divine am Telefon sehen und Kevin Naylor, der angestrengt schrieb, den Stift wie immer so ungelenk in der Hand, als hätte er Mühe, mit ihm umzugehen. »Am besten reden Sie mal mit dem Sozialdienst.« Er sah auf die Uhr. »Wenn die dort für heute schon Schluss gemacht haben, können Sie es beim
Weitere Kostenlose Bücher