Nebelflut (German Edition)
prangte eine Schleife, die irgendwann einmal rot gewesen war, die Enden waren aufgeribbelt und verfilzt.
»Heilige Scheiße.« Sean schüttelte fassungslos den Kopf. »Weißt du, was das ist?«
Brady ließ das Stofftier sinken. »Nein.«
»Ich hole einen Plastikbeutel, wir packen den ganzen Kram ein. Ich muss dringend etwas überprüfen.« Sean stand auf und ließ Brady alleine zurück.
-2-
Grace hatte die Beine angezogen und lehnte an Patrick. Tammie saß auf dem Schoß ihres Großvaters und ließ ihre neue Stoffkatze, ein plüschiges rosa Ungetüm, aus ihrem leeren Saftglas trinken. Im Fernsehen lief einer dieser typischen, grellbunten Weihnachtsfilme, irgendein Unsinn über ein paar Kinder, eine Schokoladenfabrik und deren psychisch angeknacksten Chef.
Unauffällig sah Patrick auf die Uhr. Es war jedes Jahr aufs Neue hart, die Zeit von der Kirche bis zum Essen zu überbrücken. Er blickte zur Küche. Seine Mutter Evelyn würde noch lange nicht fertig sein. Mindestens zwölf Töpfe dampften in aller Ruhe vor sich hin.
»Schatz, konzentrier dich doch mal auf den Film.« Grace grinste zu ihm hinauf und er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sie lachte leise und schmiegte sich wieder an ihn. »Wenn du so weitermachst, verstehst du das Ende nicht.«
»Frustrierende Vorstellung.« Er beugte sich vor und nahm sein Whiskeyglas vom Tisch. »Da halte ich es doch lieber wie Tammies Katze und trink mir einen. Dad?«
Sein Vater blickte auf und Patrick erkannte, dass auch er mit den Gedanken woanders war. Jack rang sich ein Lächeln ab und griff ebenfalls nach seinem Glas, dann prostete er in die Runde.
Patrick leerte den Whiskey in einem Zug. Sein Vater und er tranken an Weihnachten immer zu viel und bereuten es hinterher – doch eine andere Möglichkeit, mit Familienfesten wie diesem zurechtzukommen, hatten sie beide in all den Jahren nicht gefunden.
»In einer halben Stunde essen wir«, rief seine Mutter aus der Küche.
»Das behauptest du jetzt seit zwei Stunden«, gab Jack zurück und rettete sich sogleich in ein gutmütiges Grinsen, als sie in der Tür erschien und ihm einen tadelnden Blick zuwarf. Dann schrillte die Türklingel und durchschnitt die weihnachtliche Atmosphäre wie ein scharfes Messer.
»Ich gehe.« Evelyn tupfte sich mit einem Küchentuch die Stirn ab und trat in den Korridor.
»Wer kann das sein?« Patricks Vater blickte auf seine Armbanduhr, ein klobiges Altherrenmodell, das er besaß, seit Patrick denken konnte.
»Vielleicht die Nachbarn«, sagte Grace.
Jack blickte in Richtung Flur, wo Evelyn leise mit einem Mann sprach. Dann kam sie mit steifen, zombiehaften Schritten zurück ins Wohnzimmer.
»Was ist? Was hast du?« Jack sprang auf und wirkte schlagartig um mindestens ein Promille nüchterner.
»Die Polizei. Es ist die Polizei.« Evelyns Stimme klang heiser, ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Hinter ihr betraten zwei Männer den Raum, von denen Patrick einen auf Anhieb erkannte.
Sean Callahan, der seit ihrer letzten Begegnung grau geworden war, wandte sich gleich an seinen Vater. »Mister Namara. Es tut mir wirklich Leid, dass wir an Weihnachten hier aufkreuzen.«
»Haben Sie sie?« Jack hörte sich an, als sei er soeben einen Marathon gelaufen. »Haben Sie sie gefunden?«
»Daddy«, wisperte Tammie und zupfte an Patricks Ärmel, doch er hatte jetzt kein Ohr für sie. Am Rande seines Gesichtsfeldes nahm er wahr, wie Grace aufstand, sich die Kleine schnappte und sie aus dem Zimmer brachte.
Callahan schüttelte den Kopf. »Nein, wir …«
Patricks Mutter unterbrach ihn mit einem gequälten Schluchzer. Sogleich eilte Jack zu ihr und schloss sie in die Arme.
»Wir haben etwas gefunden, das Sie sich ansehen sollten. Ich muss Sie bitten, es zu identifizieren.« Er nickte seinem Kollegen zu, einem jüngeren Beamten in sportlicher Kleidung, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.
»Mister und Misses Namara, ich bin Detective McCarthy«, stellte er sich vor. Erst jetzt, wo er aus Callahans Schatten trat, entdeckte Patrick die zwei Plastikbeutel, die er in den Händen hielt.
»Zeigen Sie das mir .« Patrick brachte endlich die Kraft auf, aufzustehen. Seine Mutter weinte noch immer an der Schulter seines Vaters und er wollte nicht, dass sie noch mehr belastet wurde. Nur zu gut erinnerte er sich an den desolaten Zustand, in dem sie sich nach Amys Verschwinden befunden hatte.
Callahans Kollege trat näher und blieb vor Patrick stehen. »Ein Jogger hat diese Sachen
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