Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
stecken.«
»Ich weiß«, erwiderte Hilke. »Das soll auch keine Beschwerde sein,
aber zumindest darüber sprechen muss man. Zu Hause erzähle ich nichts über
meine Arbeit. Es fällt manchmal schwer, sich mit der einen Hälfte des Kopfs
immer noch mit den Themen zu beschäftigen, mit der anderen dem Ehemann und den
Kindern zuzuhören und auf ihre Probleme einzugehen.«
Große Jäger stand auf und nahm seine Kollegin wortlos in den Arm.
»Was ich jetzt sage, habe ich nie gesagt, aber du bist eine wunderbare
Kollegin, Tante Hilke.«
Für ein paar Sekunden ließ Hilke Hauck sich fallen, dann stemmte sie
ihre geballten Fäuste gegen die Brust des Oberkommissars.
»Onkel«, sagte sie in gespielter Entrüstung. »Du nutzt die Situation
wieder einmal schamlos aus, um eine junge, knackige Frau im Arm zu halten.«
Große Jäger ließ demonstrativ seinen Kopf kreisen. »Wo ist hier eine
junge Frau? Ich habe ja schon lange Arme, aber wenn man die um dich schlingt,
umarmt man ja gleich eine ganze Großfamilie.«
»Wenn du endlich anfangen würdest zu arbeiten, wären wir weiter, und
ich könnte mich anderen Aufgaben zuwenden«, sagte sie lachend und verließ das
Büro.
»Hat es neue Einbrüche gegeben?«, fragte Große Jäger.
»Zum Glück nicht«, erwiderte Christoph. »Wo warst du am Sonnabend?
Wir haben uns mit Harm und Karlchen bei Marlene im ›glücklich am Meer‹
getroffen.«
»Bei meiner Marlene?«
Christoph runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob die charmante Frau deine ist. Wir hätten uns jedenfalls gefreut, wenn du
dabei gewesen wärst.«
»Darf man nicht auch ein Privatleben haben?«, brummte der
Oberkommissar.
»Spielt sich das in Garding ab? Unter ärztlicher Kontrolle?«
»Habe ich dich gefragt, was du am Wochenende mit Anna unternommen
hast?« Es klang bissig.
»Das ist kein Geheimnis«, antwortete Christoph und erntete dafür
eine hochgezogene Augenbraue. »Wir haben uns gestern, gemeinsam mit Karlchen,
ekelerregende Bilder angesehen.«
»Schierlings Pornos?«
»Es war eine Zumutung, aber ich habe Anna und Karlchen zuvor
gewarnt. Beide waren schockiert. Für eine Frau ist es schwer vorstellbar, dass
sich Menschen an solchen Dingen hochziehen können. Und Karlchen, der mit
Kindern arbeitet, hatte auch Probleme, seine Abscheu so weit zu unterdrücken,
um weiterzugucken. Aber es war konstruktiv.«
»Inwiefern?«
»Die beiden waren unbefangen. Nun sind alle keine Ethnologen, aber
uns schien es einleuchtend, dass die Aufnahmen in unseren Breiten gemacht
wurden.«
»Also nicht Asien oder Südamerika.«
»Nein. Die Kinder waren Europäer. Ob sie allerdings aus unserer
Gegend stammten, ist zweifelhaft. Da hätte man blonde Kinder erwartet. Die
Opfer waren aber eher dunkelhaarig. In manchen Videos sieht man, wie die Kinder
Hand anl–«
»Ich glaube, solchen Schmutz müssen wir nicht erörtern«, unterbrach
Große Jäger und schüttelte sich demonstrativ dabei.
»Die wenigen beteiligten Erwachsenen können kaum identifiziert
werden. Die Aufnahmen sind so gehalten, dass sie nie ganz ins Bild gerückt
werden, insbesondere sind keine Gesichter oder Köpfe zu erkennen. Auf einem
Video allerdings sieht man ein Tattoo. Die waren zu der Zeit noch nicht so weit
verbreitet wie heute. Es handelt sich um eine Art Ruder eines Schiffes.«
»Ein Steuerrad«, fügte Große Jäger an.
»Binnenländer!«, schalt ihn Christoph. »Nun ist es nahezu unmöglich,
vierzig Jahre später den Täter mit dieser Tätowierung zu finden.«
»War das ein junger Mann?«
»Jünger, aber kein Jugendlicher. Vielleicht um die dreißig.«
Beide sahen sich an. Dann griff Christoph zum Telefon und rief in
der Kieler Rechtsmedizin an. Als er auflegte, hielt er den Daumen in die Höhe.
»Ein Enddreißiger«, sagte er. »Das war ein Zufallstreffer.
Vermutlich handelt es sich um Adolph Schierling.«
»So ein verdammtes Schwein«, kommentierte Christoph. »Nicht nur die
Sauerei mit den Kindern, sondern sich dabei auch noch filmen zu lassen.«
»Die Kamera war statisch«, ergänzte Christoph. »Sie war aufgebaut
und hat die Szenerie aufgenommen. Das könnte bedeuten, dass kein Kameramann
zugegen war und Schierling mit seinem Opfer allein war. Doch das war nicht
alles. Aus der Kleidung, dem Haarschnitt und der Einrichtung, die
ausschnittweise im Bild auftauchte, könnte man den Zeitpunkt der Aufnahme auf
das Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre schätzen.«
»Da gab es noch keine Videokamera«, gab Große Jäger zu
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