Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
erklärte Christoph.
»Das bricht aber nicht die Schweigepflicht.«
»Wir arbeiten an der Aufklärung schwerer Straftaten.«
Momme Hansen zeigte sich unbeeindruckt. »Sie kennen die Rechtslage.
Ich bedaure, Ihnen nicht weiterhelfen zu können. Versuchen Sie es bei der
anderen Partei. Möglicherweise können Sie dort Einblick in die Dokumente
erhalten.«
»Frau Szymanik ist eine einfache Frau. Die haben Sie seinerzeit so
unter Druck gesetzt und eingeschüchtert, dass sie Angst hat, auch nur ein Wort
zu äußern.«
Der Anwalt nickte zufrieden. »Das ist eine erfreuliche Bestätigung
der Güte unserer Arbeit. Mehr haben wir nicht bewirken wollen, als dass unwahre
Behauptungen zulasten unseres Mandaten nicht weiter in Umlauf gebracht werden.«
»Sind Sie sich sicher, dass Frau Szymanik gelogen hat?«
Momme Hansen hob seine Hände. »Wir sind Anwälte, die
Parteiinteressen vertreten, und keine Richter. Die sind mit der Wahrheitsfindung
betraut.«
»Dann erzwingen Sie unter Umständen auch ein Schweigen, selbst wenn
die Frau die Wahrheit gesagt hat. Was war Ihrem Mandanten so unangenehm an dem,
was Hildegard Szymanik erzählt hat?« Christoph wies auf den Aktendeckel, der
jetzt vor dem Anwalt auf dem Schreibtisch lag. »Dr. Pferdekamp berührt es
nicht mehr.«
»Der Anspruch auf den Erhalt der Ehre reicht auch über den Tod
hinaus.«
Christoph stand auf. »Ich versichere Ihnen, so lange nach der
Wahrheit zu suchen, dass Ihr staubgrüner Aktendeckel vor Scham rot anläuft.«
»Ich habe keine Sorge, dass Sie Ihre Ermittlungsarbeiten stets nach
Recht und Gesetz ausrichten«, sagte Momme Hansen.
Die Verabschiedung fiel geschäftsmäßig aus. Christoph hatte nicht
den Eindruck, dass der Anwalt ihm gram war. Er beharrte nur auf seiner
Verschwiegenheitspflicht.
Christoph trat ins Freie und blieb vor dem Torbogen stehen, durch
den der Schlossgang in die Hauptstraße mündete. Er sah in die Fußgängerzone,
kramte sein Handy hervor und rief Anna an, die sich geschäftsmäßig mit »Praxis
Dr. Hinrichsen« meldete.
»Hast du Zeit auf einen Kaffee bei Jacqueline?«, fragte er und
meinte damit das Café, das hundert Meter weiter lag. Einen Steinwurf entfernt
hatte der Arzt seine Räume.
»Ich bin kein Beamter«, klagte Anna wie so oft. »Wir können unsere
Zeit nicht frei einteilen. Das Wartezimmer ist voll.«
Christoph kehrte zur Polizeidirektion zurück und ließ sich Zeit
dabei. Wenn ich schon Beamter bin, sagte er sich, bevor er seinen Besuch in der
Anwaltskanzlei Revue passieren ließ.
Auch wenn Momme Hansen nichts verraten hatte, glaubte Christoph
herausgehört zu haben, dass Hildegard Szymanik zum Schweigen gebracht wurde und
selbst der Anwalt nicht von Dr. Pferdekamps Version überzeugt war. Was hatte
den Arzt veranlasst, solch drastische Maßnahmen gegen die Frau einzuleiten?
Im Büro wurde er von Mitarbeitern in Beschlag genommen, die laufende
Fälle mit ihm besprechen wollten, seinen Rat einholten oder Entscheidungen
erwarteten, bis Große Jäger zurückkehrte.
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dem Typen auch eine
gescheuert«, schimpfte der Oberkommissar.
»Wem? Dem Mitarbeiter des Sozialzentrums oder dem Antragsteller?«
»Das beantworte ich nicht.« Große Jäger grinste. »Sonst handel ich
mir noch Probleme ein.« Er sah sich um. »Gibt es keinen Kaffee?«
»Entweder kochst du selbst, oder du bittest Heidi Krempl darum«,
stichelte Christoph und fing sich einen bösen Blick ein. Dann berichtete er von
seinem Besuch bei Rechtsanwalt Hansen.
»Das klingt nicht erfolgreich«, kritisierte der Oberkommissar. »War
da nicht mehr herauszuholen?«
»Ich bin eben kein Verhörspezialist wie du und habe immer noch
Skrupel, den dritten Grad anzuwenden.«
»Nun stell dich nicht so an. So ein Anwalt braucht doch keine
Fingernägel. Die kann man ihm herausreißen. Und wir hätten in Husum einen
wirklich großen Advokaten, wenn wir ihn auf der Streckbank zwei Meter fünfzig
lang ziehen würden.« Dann wurde er wieder ernst. »Worum geht es in diesen
Fällen? Warum schweigen Kruschnicke, Buschinski und Frau Szymanik? Und –
verdammt noch mal – wer ist Günter Steppujat? Das Ganze liegt über vierzig
Jahre zurück. Da gibt es niemanden im Hause, der damals schon dabei war.« Er
raufte sich die ungewaschenen Haare. »In englischen Krimis findet sich immer
ein pensionierter Chiefinspector, der den Fall damals als blutjunger Sergeant
bearbeitet hat. Was hast du eigentlich vor vierzig Jahren
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