Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
schrill gekleidete Karlchen und drückte Mommsen an
sich, der Christoph und Anna vorstellte.
»Zwei Freunde.«
Marlene beließ es dabei, die beiden mit Handschlag zu begrüßen.
Dabei ging von ihr eine Herzlichkeit aus, als wären auch Christoph und seine
Frau alte Freunde.
Sie hakte sich bei Karlchen unter, sagte mit ihrer tiefen Stimme,
die ein wenig an ihre Namensvetterin Marlene Dietrich erinnerte: »Ich habe
einen schönen Platz für euch«, und führte sie an einen Tisch am Fenster mit
Aussicht auf die Schobüller Seebrücke und das entfernte Nordstrand jenseits des
Moderslochs.
Schweigend studierten sie die Speisekarten. Anna entschied sich für
»Lachs-Pasta mit leichter Limetten-Sahnesauce«, Harm Mommsen und Karlchen
bewiesen Einigkeit und orderten »Kleine Piccata milanese vom Kalbsrücken mit
Spaghetti in Tomaten-Basilikum-Sauce«.
»Und du?«, fragte Anna und sah Christoph an. »Lass mich raten?«
Er nickte, gab der Bedienung die Karte zurück und sagte:
»Sauerfleisch mit Bratkartoffeln.«
Harm Mommsen erzählte von seiner Dienststelle, berichtete von
Fällen, mit denen er und seine Mitarbeiter sich auseinanderzusetzen hatten,
ohne zu sehr ins Detail zu gehen oder gar Persönlichkeitsrechte zu verletzen.
Im Stillen bewunderte Christoph Mommsen, den er als junge Nachwuchskraft in
Husum kennengelernt hatte, den Große Jäger immer noch als »das Kind«
bezeichnete, der mit dem Studium an der Polizeihochschule in Münster nicht nur
den Sprung in den höheren Dienst geschafft hatte, sondern auf der
verantwortlichen Position als Leiter der Ratzeburger Kripo in jeder Hinsicht
gereift war. Dabei hatte Mommsen seine Natürlichkeit und sein einnehmendes
Wesen bewahrt.
»Und was gibt es bei euch Neues?«, schloss er seinen Bericht.
Christoph berichtete von den aktuellen Fällen. In dieser Runde gab
es niemanden, der ihm mit unerbetenen Ratschlägen neue Weisheiten verkaufen
wollte.
Karlchen räusperte sich. »Du weißt«, sagte er, »dass ich in meinem
Beruf oft und gern mit Kindern zusammenarbeite.«
Seit Christoph Mommsens Lebenspartner kannte, war Karlchen als
gefragter Animateur unterwegs. Seine Veranstaltungen waren auf lange Zeit im
Voraus ausgebucht. Irgendwann hatte Christoph mit Große Jäger darüber gesprochen,
ob es nicht Leute geben könnte, die Karlchens sexuelle Orientierung als Anlass
zur Kritik nehmen könnten. Aber Karlchens Erfolg hatte alle Bedenken zerstreut.
Christoph kannte wenig Menschen, die die Fähigkeit besaßen, auf die Wünsche und
Gedanken der Kinder so einfühlsam einzugehen.
Nachdem Karlchen einen prüfenden Blick in die Runde geworfen hatte,
fuhr er fort: »Wenn es dir recht ist, würde ich mit dir einen Blick auf diese
ekelhaften Kinderpornos werfen. Vielleicht entdecke ich etwas, das ihr übersehen
habt.«
»Ich glaube, mir wird speiübel bei dem Gedanken an solchen Schmutz«,
schloss sich Anna an. »Aber ich würde mich überwinden und helfen wollen.«
Karlchen sagte zu, Christoph und Anna am nächsten Tag auf Nordstrand
zu besuchen.
SECHS
Der Montag zeigte sich nicht von der besten Seite. Statt
Nebel oder Herbstsonne war es grau und trübe. Ein leichter Nieselregen hatte
die Straßen feucht werden lassen. Auch im Intervallbetrieb des Scheibenwischers
blieben schmierige Schlieren übrig.
Unterwegs warf Christoph in Schobüll einen Blick auf die Preistafel
der Tankstelle. Auch wenn man dort nett und zuvorkommend bedient wurde,
schienen die Preise ins Unermessliche zu steigen. Wann schieden die ersten
Menschen aus dem Kreis der Autofahrer aus, weil sie sich diesen Luxus nicht
mehr leisten konnten?
Christoph lächelte, als er den Faden weiterspann. Was würde Große
Jäger sagen, wenn die Polizei im letzten Abschnitt eines Jahres ihre Einsätze
zu Fuß erledigen müsste, da der Jahresetat des Innenministers für Kraftstoffe
aufgebraucht war?
Im Büro sichtete er die Berichte vom Wochenende, kochte einen
Darjeeling und bereitete die Kaffeemaschine vor. Große Jäger nahm es
kommentarlos zur Kenntnis, als er eine halbe Stunde später eintraf.
Kurz darauf erschien Hilke Hauck und berichtete, dass es keine neuen
Erkenntnisse bei der Suche nach dem Opel gab.
»Das ist eine Kärrnerarbeit«, sagte die Kommissarin. »Seid ihr
sicher, dass es der richtige Weg ist?«
»Es gibt viele Berufe, in denen man schnellere Erfolgserlebnisse
hat«, tröstete Christoph die Kollegin. »Niemand da draußen nimmt wahr, wie viel
Aufwand und Energie hinter solchen Aktionen
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