Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
bedenken.
»Dann haben die Täter Super 8 benutzt. Dafür spricht auch, dass es
sich um kurze Sequenzen handelte.«
»Wie lange?«
»Maximal drei Minuten am Stück.«
»Das war die handelsübliche Dauer der Filme. Schön …« Große
Jäger winkte ab. »Quatsch. Diese Vokabel ist wirklich nicht angebracht. Wir
hätten einen Täter und den Zeitraum der Filmerstellung, auch die regionale
Zuordnung. Mutmaßlich.«
Christoph begann, etwas auf einem Block zu notieren. Große Jäger sah
ihm eine Weile zu.
»Eh«, beklagte er sich schließlich. »Was sind das für Methoden? Ich
rede mit dir, und du fertigst einen Einkaufszettel an.«
Christoph reagierte nicht. Schließlich ließ er den Kugelschreiber
fallen.
»Was haben wir vorhin gesagt?«
»Viel.«
»Ich meine, die Herkunft der Kinder betreffend?«
»Dass sie nicht wie hiesige aussehen.«
»Richtig.«
»Wir wissen immer noch nicht, was Schierling vor 1970 gemacht hat«,
gab Große Jäger zu bedenken. »Er könnte zum Beispiel in Süddeutschland gelebt
haben. Dort drohte er aufzufliegen. Der Boden wurde ihm zu heiß, und er ist
nach Nordfriesland gekommen und hat sich – erfolgreich – beim
Landkreis beworben. Ausgerechnet beim Jugendamt.«
»Kruschnicke. Buschinski. Steppujat. Szymanik«, las Christoph vor
und ließ dabei seinen Zeigefinger auf dem Papier abwärtsgleiten. »Die gehörten
zu den vier Prozent.«
»Häh?« Dem Oberkommissar stand die Ratlosigkeit ins Gesicht
geschrieben. »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
Christoph lachte. »Anna und ich waren in Glücksburg. Dort ist uns
ein Stadtbus aufgefallen, der mit einer auch die Scheiben bedeckenden Werbung
der Flensburger Handwerksinnung – oder so – versehen war. Dort stand:
›Wir sind für alle Petersens, Hansens und Jensens da. Für die restlichen vier
Prozent natürlich auch.‹«
Ein Leuchten der Erkenntnis überzog Große Jägers Gesicht.
»Donnerwetter. Kruschnicke. Buschinski. Steppujat und Szymanik. Aber auch
Pferdekamp und Hohenhausen. Das sind Namen, die nicht typisch sind für
Nordfriesland.«
»Sondern?«, fragte Christoph. Es klang, als würde er einen Schüler
abhören.
»Pferdekamp und Hohenhausen kann ich nicht zuordnen. Aber die
anderen vier Namen klingen so, als kämen sie aus dem Osten.«
»Schleswig-Holstein hat nach dem Zweiten Weltkrieg besonders viele
Flüchtlinge aufgenommen. Man sagt, dass auf jeden Einheimischen ein Flüchtling
kam.«
»Gibt es darüber eine Verbindung?«, dachte Große Jäger laut nach.
Dann schüttelte er den Kopf. »Die Betroffenen sind alle nach dem Krieg geboren,
Pferdekamp war bei Kriegsende dreizehn und Hohenhausen fünf Jahre alt.«
»Die Vertriebenen haben lange in eigenen Zirkeln gelebt und kaum bis
gar nicht Kontakt zu den Einheimischen gehabt. Es ist sehr vage, aber das
könnte ein Anhaltspunkt sein. Wir suchen schließlich nach einem gemeinsamen
Nenner. Die Namen könnten auf eine mögliche ostdeutsche Herkunft verweisen.
Wenn es wirklich Nachkommen der zahlreichen Flüchtlinge waren, die nach dem
Krieg nach Schleswig-Holstein gekommen sind, so gab es oft zerrüttete
Familienverhältnisse. Männer sind spät aus der Gefangenschaft zurückgekehrt,
Frauen hatten Kinder mit anderen. Wir haben nicht herausfinden können, wer
Kruschnickes Vater ist. Frau Szymanik aus Tönning war sechzehn, als sie ihren
Sohn bekam. Vater unbekannt.«
»Die passt nicht ins Schema«, wandte Große Jäger ein. »Sie ist nach
dem Krieg geboren.«
»Richtig, sie ist eventuell selbst ein Flüchtlingskind und stammt
aus zerrütteten Familienverhältnissen. Da fällt es nicht schwer, einem
minderjährigen Mädchen Zuneigung vorzugaukeln und das auszunutzen.«
»Sie schwängern?«
»Warum nicht? Es wäre doch denkbar«, sagte Christoph. »Rechnen wir
einmal. Frau Szymaniks Sohn …«
»Helmut«, warf Große Jäger ein.
»… ist 1964 geboren. Da war seine Mutter sechzehn.«
»Seine Mutter, die eine abgrundtiefe Abneigung gegen Dr. Pferdekamp
hatte und eine Behauptung aufgestellt hat, deren Wiederholung ihr durch die
Abmahnung der Husumer Anwälte verboten wurde.«
»Als Helmut Szymanik geboren wurde, war Dr. Pferdekamp
zweiunddreißig Jahre alt«, rechnete Christoph vor. »Und Adolph Schierling hat
sich offenbar nicht für Frauen interessiert.«
Große Jäger war nicht überzeugt. »Es soll auch Menschen geben, die
zweigleisig fahren. Das würde ich nicht als gesichert betrachten. Aber wie
passt Wolfgang Hohenhausen in dieses
Weitere Kostenlose Bücher