Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
wohnte in einem Neubaugebiet am Rande der regen
und aufstrebenden Gemeinde Mildstedt, die übergangslos an Husum grenzte und im
Wettbewerb mit der Kreisstadt um neue Bürger und Gewerbeansiedlungen buhlte.
Erfolgreich.
Auch wenn die Proportionen nicht vergleichbar waren, konnte man
Mildstedt als Satelliten Husums betrachten mit allen damit verbundenen Vor- und
Nachteilen. Die Infrastruktur der »Metropole« Husum lag direkt vor der Haustür,
dafür konnte sich aber ein eigener dörflicher Charakter oder gar Charme kaum
entwickeln, auch wenn das gepflegte und saubere Ortsbild Mildstedt zu einem
bevorzugten Wohngebiet hatte werden lassen. Zu Recht.
Im Laufe der Zeit hatten sich hier überschaubare Neubaugebiete
entwickelt. Im Saarbeksweg, der sich durch das Areal schlängelte, standen
zahlreiche Anwesen mit sorgfältig hergerichteten Gärten. Christoph empfand es
als attraktiv, dass man die Phantasie der Architekten nicht durch zu enge
Bauvorschriften eingeengt hatte und sich dem Betrachter ein Bild großzügiger
Bebauung bot.
Vor der Tür des schmucken Einfamilienhauses stand ein Ford Transit
mit der Aufschrift » GWS Helmut Szymanik«.
Darunter folgten die Homepage und die Telefonnummer.
» GWS «, las Christoph vor.
»Gas-Wasser-Sanitär. Der Sohn hat sich offenbar aus dem Bann der Mutter befreit
und erfolgreich beruflich etabliert.«
Bevor sie die Haustür erreicht hatten, wurde ihnen geöffnet. Die
Frau mochte Mitte vierzig sein, hatte rotblonde Haare, Pausbäckchen und ähnelte
ein wenig dem älter gewordenen Kind, das seit Jahrzehnten von einer bekannten
Zwiebackpackung herablächelt.
»Wollen Sie zu uns?«, fragte sie mit unverkennbar einheimischem
Akzent.
»Polizei Husum«, sagte Christoph und stellte Große Jäger und sich
vor. »Wenn Sie Frau Szymanik sind, hätten wir gern mit Ihrem Mann gesprochen.«
»Mit Helmut?« Deutlich war ihr das Erschrecken anzusehen.
»Es geht nur um eine Auskunft in einer Sache, in der Ihr Mann uns
vielleicht weiterhelfen könnte«, sagte Christoph beruhigend.
»Hängt er irgendwo mit drin? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Es geht um seine Mutter.«
Der Stoßseufzer war nicht zu überhören. »Er ist gerade nach Hause
gekommen und duscht.« Sie trat zur Seite. »Wollen Sie nicht reinkommen?« Sie
führte die Beamten ins Wohnzimmer, das einem ausländischen Besucher sicher als
»typisch deutsch« erscheinen mochte: eine bezogene Couch, zwei Sessel sowie ein
bequemer Ohrensessel mit einer Fußbank davor, der Tisch aus heller Eiche war
mit Kacheln belegt, die wuchtige Stollenwand stammte aus dem gleichen Programm.
Noch einmal fragte sie nach dem Grund des Besuchs, aber Christoph erklärte, er
wolle mit ihrem Mann sprechen. Der erschien zehn Minuten später mit nassen
Haaren und begrüßte die beiden Polizisten mit einem kräftigen Händedruck, bevor
er sich zu ihnen an den Tisch setzte.
»Polizei? Meine Mutter? Ist was mit ihr?«
»Wir sind im Zuge unserer Ermittlungen in mehreren Fällen auf Ihre
Mutter gestoßen und erhofften uns Informationen. Die versagt uns Ihre Mutter
allerdings.«
Szymanik faltete die Hände und starrte auf einen gerahmten
Kunstdruck an der Wand.
»Tja, Mama ist nicht einfach«, erklärte er versonnen. »Man muss sie
verstehen. Vielleicht hängt das auch mit Ihrem Lebensweg zusammen. Meine Oma
ist aus Bolken im Kreis Treuburg, das ist im ehemaligen Ostpreußen. Sie wurde
nach Kriegsende vertrieben und kam nach Eiderstedt, während der Opa in
russischer Kriegsgefangenschaft war. In den Nachkriegsjahren wurde sie von
einem früher entlassenen ehemaligen Soldaten schwanger. Meine Mutter. Als Opa
aus der Gefangenschaft zurückkehrte, traf er Oma mit einem Kuckuckskind an. Das
war’s. So musste Oma sich und ihre Tochter unter schwierigsten Bedingungen
durchbringen.« Erneut seufzte Szymanik. »So spiegelt unsere Familie ein Stück
deutsche Geschichte wider. Und Geschichte, nicht die deutsche, aber die
persönliche, wiederholt sich.« Er zeigte auf sich. »Das sollte man wissen,
bevor man über Mama den Stab bricht.«
Christoph räusperte sich. »Das hat niemand vor. Es geht um einen
Rechtsstreit mit dem verstorbenen Dr. Pferdekamp. Ihre Mutter fühlt sich
immer noch an die Unterlassungserklärung gebunden und will uns nicht erzählen,
um was es ging. Für uns ist es aber von Bedeutung, um die Persönlichkeit des
Arztes zu verstehen und zu erfahren, ob es dunkle Punkte in Dr. Pferdekamps
Vergangenheit gibt.«
»Dr. Pferdekamp …«
Weitere Kostenlose Bücher