Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
den Staatsdienst war er als Erzieher tätig.«
»Im St.-Josef-Heim in Tönning«, riet Christoph.
Einen Moment war es still in der Leitung. »Warum unterziehe ich mich
der Mühe, stundenlang im Archiv zu wühlen, wenn Sie es schon wissen?«
»Das haben wir nicht gewusst. Erst dank Ihrer Mithilfe haben wir
diese wichtige Information erhalten. Sie haben uns einen unschätzbaren Dienst
erwiesen.«
»Das klang aber anders«, blieb Frau Hatje skeptisch.
Christoph musste seinen ganzen Charme aufwenden, um die
Mitarbeiterin der Kreisverwaltung zu überzeugen, dass sie wirklich eine
Neuigkeit zu den Ermittlungen beigesteuert hatte. »Haben Sie auch etwas über
den damaligen Personalstand und die betreuten Kinder herausfinden können?«
»Darüber scheint es keine Aufzeichnungen mehr zu geben«, erwiderte
Frau Hatje.
»So langsam schließt sich der Kreis«, sagte Große Jäger, als
Christoph die Autofahrt nutzte, ihm Bericht zu erstatten. »Damals muss etwas im
St.-Josef-Heim geschehen sein. Aber warum holt dieses Vorkommnis die
Beteiligten vierzig Jahre später ein? Und wer steckt dahinter? Wir haben keinen
einzigen Angehörigen des verschwundenen Günter Steppujat finden können.«
»Holger Kruschnicke scheint in seiner Kindheit auch hin- und
hergerissen worden zu sein. Uns fehlen ein paar Jahre in seinem Lebenslauf. War
er auch in Tönning? 1970 ist er zu seiner Mutter gezogen. Wahrscheinlich auch
nur, weil man Tönning geschlossen hat. Die Mutter ist 1971 verstorben.« Christoph
stutzte. »Ist das nicht merkwürdig? Ich meine, die Parallelität? Kruschnickes
Mutter war – angeblich – alleinerziehend und ist gestorben. Und
Günter Steppujat ist auch ohne bekannten Vater groß geworden und hat seine
Mutter früh verloren.«
»Also … Groß geworden ist Steppujat nicht«, korrigierte ihn der
Oberkommissar. »Und Kruschnicke ist 1970 zu seiner Mutter zurückgekehrt. Klar.
Da hat man das Heim in Tönning geschlossen. Ich frage mich aber, warum hat man
das St.-Josef-Heim dichtgemacht? War es wirklich die Kreisreform? Oder gab es
andere Gründe? Wollte man etwas verbergen?«
»Es dürfte schwerfallen, nach vierzig Jahren eine Antwort darauf zu
finden«, stellte Christoph fest. »Viele der Beteiligten sind tot. Andere können
oder wollen sich nicht erinnern. Wenn wir erfahren würden, weshalb man
Hildegard Szymanik verboten hat, zu sprechen, kämen wir vielleicht ein wenig
weiter. Und immer wieder taucht die Frage auf, welche Verbindung Dr. Pferdekamp
zum St.-Josef-Heim hatte.«
»Ist er Kruschnickes Vater? Um das klären zu können, benötigen wir
seine DNA . Die wird uns versagt.«
»Wir wissen nicht, ob Holger Kruschnicke auch in Tönning war«, sagte
Christoph. »Adolph Schierling mit seinen pädophilen Neigungen war dort als
Erzieher tätig. Wenn Kruschnicke das miterlebt hat, könnte er unter Umständen
dadurch geprägt worden sein. Was ist, wenn er irgendwann Dr. Pferdekamp
begegnet ist und der Arzt im Stillen auch Männer bevorzugt hat? Nach allem, was
wir wissen, haben die beiden auf eine merkwürdige Art dreißig Jahre
zusammengelebt.«
»Als Paar?«
»Das wäre denkbar. Niemand hat uns etwas anderes über Dr. Pferdekamp
berichtet. Zu keiner Zeit ist eine Frau in seinem Leben aufgetaucht. Gibt es so
etwas, dass jemand sein Leben als geschlechtsloses Neutrum verbringt?«
»Das soll vorkommen«, warf Große Jäger ein.
»Hinter Klostermauern.«
»Und selbst dort ist es nicht gewährleistet.« Der Oberkommissar
schüttelte den Kopf. »Manchmal bin ich nicht glücklich in meinem Beruf. Es
macht keine Freude, im Leben anderer Menschen, schon gar nicht im Intimleben,
herumzustöbern. Und absolut ekelhaft ist es, wenn Kinder als Opfer ins Spiel
kommen.«
Christoph stimmte ihm zu. »Da wäre noch etwas. Wenn unsere sehr
gewagte Theorie zutrifft, dass Dr. Pferdekamp nichts für Frauen
übrighatte, vielleicht sogar eine Aversion gegen das weibliche Geschlecht
hegte, würde es unter Umständen erklären, warum er sich so vehement gegen seine
Nachfolgerin gestellt hat. Schließlich hat Frau Krempl seine Praxis übernommen,
und er selbst hat sie ausgewählt. Woher stammt der plötzliche
Gesinnungswandel?«
»Das ist mir auch ein Rätsel. Schließlich hat Heidi Krempl nie etwas
über ihren Vorgänger verlauten lassen. Bis heute hat sie nur diskret
angedeutet, dass es dort einen Fall geben könnte, der Zweifel an Dr. Pferdekamps
ärztlicher Kunst aufkommen lassen könnte.«
»Und wenn es der Fall ist,
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