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Nebelfront - Hinterm Deich Krimi

Nebelfront - Hinterm Deich Krimi

Titel: Nebelfront - Hinterm Deich Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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in dem Hildegard Szymanik zum Schweigen
verurteilt ist? Ist es nicht mysteriös, dass niemand reden will? Außerdem wäre
es das erste Mal, dass ich davon hören würde, dass ein homosexuell veranlagter
Mann Hass gegenüber einer Frau nur aufgrund ihres Geschlechts empfindet. Harm
und Karlchen sind umgängliche und angenehme Gesellschafter in der Gegenwart von
Frauen und werden von denen manchmal mehr geschätzt als Heteros mit Machogehabe.«
    »Merkst du eigentlich, wie wir uns selbst widersprechen?«, fragte
Große Jäger.
    Christoph nickte. »Ein paar Minuten zuvor haben wir noch überlegt,
ob Dr. Pferdekamp der Vater von Kruschnicke sein könnte. Jetzt dichten wir
ihm ein Liebesverhältnis mit Kruschnicke an. Wir sollten noch einmal nach
Tönning fahren«, schlug er vor.
    Sie hatten noch nicht die Tankstelle am Ortsausgang erreicht, als
Christoph vom Beifahrersitz gleichmäßige Atemzüge vernahm. Er war es inzwischen
gewohnt, dass Große Jäger Autofahrten zu Erholungspausen nutzte, auch wenn der
Oberkommissar stets versicherte: »Bei deinen Fahrkünsten würde ich mich nie
trauen, ein Auge zuzumachen.«
    Er kam wieder zu sich, als Christoph hielt und die Seitenscheibe
herabließ.
    »Wo sind wir?«, fragte Große Jäger schlaftrunken.
    »In Tönning. Ich möchte mir den Ort ansehen, an dem das Heim stand.«
    Dann wandte er sich an das ältere Ehepaar, das neben dem Volvo
stehen geblieben war. Im Hintergrund vor einem Garten mit bunten Blumen lag ein
älteres Haus, das vom Stil her ein wenig an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt
erinnerte. Dazu trugen vielleicht auch die bunten Holzhäuser im Schwedenstil
bei, die nebenan standen.
    »Sind Sie aus Tönning?«
    Der Mann nickte. »Ja. Hier geboren.«
    »Es gab hier bis 1970 ein Kinderheim. Können Sie mir sagen, wo das
war?«
    »Sie meinen diese Verbrecherbude?«
    Seine Frau stieß ihn an. »Aber Willi. Das sagt man nicht.«
    »Ist doch wahr. Wir haben das nie verstanden, weshalb man diese
Verbrecher hier unterbringen musste.«
    »Das waren Waisen, die ihre Eltern verloren haben.«
    »Nix da. Du siehst es ja, was aus denen wird, wenn da keiner den
Rohrstock schwingt. Die hätte man jeden Tag verprügeln sollen. Dann wäre aus
denen was geworden. Aber so.«
    »Gab es Vorfälle, die Sie zu solch einer harten Haltung veranlassen?«,
fragte Christoph und beugte sich über Große Jäger hinweg.
    »Die haben geklaut wie die Raben.«
    »Das stimmt doch nicht«, sagte die Frau.
    »Doch«, behauptete der alte Mann. »Die waren bei meinem Großvater im
Garten, wenn die Äpfel reif waren, und haben sich die Taschen vollgestopft.«
    »Das haben wir doch auch getan«, erinnerte ihn die Frau.
    »Das ist doch etwas anderes gewesen. Wir waren von hier. Aber dieses
Pack, das sie uns aus dem Osten geschickt haben.«
    »Die Menschen hatten doch alles verloren«, sagte seine Frau und
versuchte vorsichtig, seinen Oberarm zu tätscheln. Doch der Mann entzog ihn
ihr.
    »Erinnerst du dich nicht mehr? Unseren Jochen haben die dauernd
vertrimmt.«
    »Doch nur, weil du ihn aufgehetzt hast. Wer war es denn, der gesagt
hat: ›Wenn du einen aus dem Heim triffst, hau ihm auf die Nase. Dann tust du
ein gutes Werk.‹«
    »Das soll ich gesagt haben? Du spinnst doch. Es war doch nur meine
Pflicht als Vater, dem Jochen …«
    Mehr bekamen die beiden Beamten nicht mit, da die beiden alten Leute
ihren Gang wieder aufgenommen hatten und sich laut streitend entfernten.
    »Das war sicher kein herzliches Einvernehmen zwischen der
einheimischen Jugend und den Heimkindern«, stellte Große Jäger fest.
    »›Spiel nicht mit den Schmuddelkindern‹, hat schon der Liedermacher
Franz-Josef Degenhardt gesungen. Immerhin haben wir ein paar Eindrücke gewinnen
können, wie man damals dachte. Wenn noch mehr Leute dieser Meinung waren, ist
es nicht verwunderlich, dass die Kinder im Heim schutzlos ihren Betreuern
ausgeliefert waren.« Er sah sich um. »Dort ist die Jugendherberge.«
    In diesem Augenblick kam eine Gruppe fröhlich schwatzender und
lärmender Kinder aus der Tür, gefolgt von einem Mann, der vergeblich versuchte,
den wilden Haufen zu bändigen. Es wirkte aber eher wie eine liebevolle
Resignation.
    »Damals ist man anders mit Kindern umgesprungen, schon gar mit
herrenlosen. Die konnte man treten. Wo sollten sie sich beklagen?«
    Christoph staunte wieder über diesen seltenen Einblick in das weiche
Herz des nach außen so grob wirkenden Oberkommissars. Er zeigte auf die
Jugendherberge mit ihren

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