Nebelgrab (German Edition)
hier gewesen sein.
Vorsichtig zog er die Nadel aus seiner Vene und hing den Tropf an den Ständer. Er wusste nicht, wo sein Handy war, also musste er suchen. Es war nicht anzunehmen, dass man ihm das Krankenhaustelefon freigeschaltet hatte. Er griff sicherheitshalber langsam zum Telefonhörer, lauschte, hörte ein munteres Piepen in der Leitung, das offensichtlich kein Freizeichen war, und stand langsam auf. Als Erstes musste er sich ankleiden. Doch langsam war nicht langsam genug. Er verfiel zwangsweise in Zeitlupengeschwindigkeit, um seinen Kopf zu schonen. Dabei fing seine Ungeduld an, an ihm zu nagen. In Gedanken mäßigte er sich, doch es half nur wenig. Es dauerte nahezu eine halbe Stunde, bis er endlich angezogen war und sein Telefon gefunden hatte. Er schlich zur Tür. Hoffentlich begegnete er nicht der Nachtschwester!
Er öffnete ganz leise die Tür. Ganz leise sprach auch eine innere Stimme zu ihm, dass er nicht tun solle, was er vorhabe, er habe sich doch wahrlich genug in Gefahr begeben. Doch er drängte die Stimme beiseite und streckte den Kopf sehr langsam durch die Öffnung. Neonfahles Nachtlicht quälte seine Augen. Er achtete darauf, dass es nicht das Bett seines Nachbarn erreichte, und wollte sich gerade durch den Spalt schieben, als er durch Gemurmel im Gang erstarrte. Er bemerkte einen Stuhl neben seiner Tür; wenige Meter weiter, wo der Gang in einen anderen Flur mündete, stand ein Polizist und sprach mit einer Schwester.
Mist!, dachte Adrian, Personenschutz! Die haben einen Polizisten abgestellt, damit ich nichts unternehme! Mist, Mist! Er zog sich wieder zurück. Bin ich so wichtig, dass die jemanden vor der Tür postieren? Quatsch, nicht ich bin wichtig, sondern der Verbrecher. Die wollen bloß den Kerl erwischen, der mich plattgemacht hat. Vielleicht versucht er noch mal, mich zu töten! Umso wichtiger, dass ich gehe.
Adrian lehnte sich von innen an die Tür und überlegte fieberhaft. Er fühlte sich krank, heiß, kalt, immer abwechselnd. Mühsam ignorierte er seine körperliche Verfassung, sperrte sich im Bad ein und tippte die Nummer der Auskunft in sein Handy. Kurz darauf hatte er das gewünschte Freizeichen im Ohr. Nach sechs langen Klingeltönen wurde endlich abgenommen.
»Hallo, Elke, hier ist Adrian Seemann. Sie müssen mir helfen! – Was? – Ja, ich weiß, tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe. – Bitte? Ach ja, du, natürlich; also hör zu!«
Nächtliche Taxifahrt
Als das Taxi vor dem Krankenhauseingang hielt, war eine weitere halbe Stunde vergangen. Adrian stand außerhalb des Lichtkegels, der die Pforte und wenige Meter der Zufahrt erhellte. Die Pforte war von einem Mittfünfziger besetzt, der sich mehr für das Fernsehprogramm als für Vorgänge am Krankenhauseingang zu interessieren schien. Adrian hielt seine Arme vor dem Körper verschränkt und versuchte damit, den Nachtwind von seinem verschwitzten Körper fernzuhalten. Es gelang ihm nicht. Er zwang sich, nicht über sein Befinden nachzudenken; er wäre sonst umgekehrt und wieder ins verlockend bequeme Patientenbett geschlüpft.
Doch die Anstrengungen der letzten 60 Minuten sollten honoriert werden. Für die Mühe, die er auf sich genommen hatte, um ungesehen aus der Klinik zu kommen, wollte er seinen Lohn haben. Er war schon so weit gekommen, jetzt wollte er das Finale auch noch miterleben! Zu seinem Glück hatten der Polizist und die Schwester augenscheinlich großes Interesse aneinander und ein entsprechend kleines Interesse an der sorgsamen Verrichtung ihrer Arbeit gehabt. Über Umund Irrwege hatte Adrian endlich aus dem Gebäude gefunden und ein Taxi bestellen können, nachdem er sich zunächst Klarheit darüber hatte verschaffen müssen, in welcher Klinik in Mönchengladbach er sich überhaupt befand.
»Nach Viersen, bitte, zur Remigiuskirche. Das heißt, Sie können mich am Schultheißenhof rauslassen!«
Er atmete erleichtert auf, als das Taxi losfuhr. Er musste diese letzte Aktion noch durchführen. Dann wäre seine Story perfekt. Er würde gleich Elke treffen, die die Adresse der Meester kannte. Um einen Fotoapparat hatte er Elke gebeten, und um Schützenhilfe. Wenn er zwischenzeitlich so etwas wie ein schlechtes Gewissen entwickelte, dann überfiel ihn gleich wieder eine Übelkeit, die intensives Nachdenken nicht zuließ. Elke war erwachsen; wenn sie sich von ihm in die Sache reinziehen ließ, so war das ihre Entscheidung. Sie würde schon wissen, wie weit sie gehen konnte.
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