Nebelriss
entdecken. Doch dass Oors Caundis bewohnt gewesen sein muss, daran gibt es keinen Zweifel. Ein weit verzweigtes Höhlennetz zieht sich unter dem Rochen entlang; riesige Gewölbe, unterirdische Kathedralen und Höhlen, mal durch Flüsse aus kristallklarem Wasser verbunden, mal durch enge und scharfkantige Felstunnel. An vielen Orten tun sich Schächte im Gestein auf, die in die Tiefe des Rochens herabstürzen oder bis zum Gipfel emporreichen. Dazwischen entdeckt man immer wieder ebene Tunnel, deren gehauene Stufen zu einer tiefer gelegenen Höhle führen; man findet in den Fels geschlagene Kammern mit glatten Wänden aus Stein und Bergkristall, kugelförmige Hallen und enge Seitenschächte. So verschmelzen die natürlichen Höhlen des Rochens mit jenen, die von Menschenhand geschaffen sind, bilden wahnwitzig anmutende Labyrinthe, deren Ausmaße jeden Betrachter mit ungläubigem Schweigen zurücklassen. Auch die Malkuda trug dazu bei, Oors Caundis zu formen. Wir schlugen neue Tunnel in das Gestein, erschlossen neue Ebenen in der Tiefe. Unter jedem Großmeister veränderte Oors Caundis seine Gestalt, und so wird es auch in Zukunft sein.«
Laghanos schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn die Goldei nach Oors Caundis kommen. Sie werden versuchen, die Logenburg zu erobern.«
Malcoran lachte auf. »Das wird ihnen nie gelingen! Sie werden schon daran scheitern, den Weg nach Oors Caundis zu entdecken! Diese Höhlen kann man nur finden, wenn sie gefunden werden wollen. Denke nach - entsinnst du dich des Weges, der dich in das Herz des Rochens führte? Was ist dir im Gedächtnis geblieben, Laghanos?«
Laghanos versuchte sich an die Nacht zu erinnern, in der er nach Oors Caundis gekommen war. Er entsann sich, wie er seine Arme um Naikayas Hals geschlungen hatte, wie sein Kopf mal auf ihrer Schulter, mal auf ihrer Brust geruht hatte. Ihm kamen die Ereignisse jener Nacht unwirklich vor; der nächtliche Aufbruch aus Cercinors Lager, das Glitzern des Mondes über ihren Häuptern, Naikayas warmer Atem auf seinem Haar und ihre Umarmung … »Ich weiß, dass Naikaya mich durch den Arkwald trug«, sagte er leise. »Wir folgten dem Fluß bis zum Fuß des Rochens. Dort gab es einen ansteigenden Pfad, der zwischen den Felsen verschwand.« Er hielt inne. »Nein - er führte abwärts, ich erinnere mich wieder. Es war sehr dunkel …«
Malcoran lachte schallend. »Wohin führte der Pfad - aufwärts oder abwärts? Waren es tatsächlich Felsen, zwischen denen er verschwand, oder nur die Schatten des Rochens im Mondlicht?« Er betrachtete Laghanos schmunzelnd. »Siehst du, dies ist eines der Geheimnisse von Oors Caundis - dass der Pfad, der dorthin führt, stets im Ungewissen bleibt. Es gibt verschiedene Wege, in diese Höhlen zu gelangen oder sie zu verlassen; doch keinen vermag man mit dem Verstand zu fassen.«
Malcoran hatte Recht: Oors Caundis war ein rätselhafter Ort, dies hatte Laghanos vom ersten Augenblick an gespürt. Kein Sonnenstrahl drang in die Höhlen des Rochens, keine Fackeln oder Öllampen erhellten die Gänge. Stattdessen war Oors Caundis von einem pulsierenden Leuchten erfüllt, dessen Ursprung nicht auszumachen war. Waren es die steinernen Wände, die dieses Licht ausstrahlten? Laghanos vermochte es nicht zu sagen. Doch ihm fiel auf, dass es keine Schatten warf. Es war, als gaukelte ein mächtiger Zauberspruch seinen Augen nur vor, dass all jene verwinkelten Felsvorsprünge, Kalksäulen und scharfkantigen Steinblöcke von Helligkeit durchdrungen seien.
Und dann die Geräusche. Ein Knirschen und Stöhnen erfüllte Oors Caundis, als ob unsichtbare Kräfte an den Steinmassen zerrten, sie zermalmen und auseinandertreiben wollten. Manchmal erklang ein Grollen aus weiter Ferne, als wäre in der Tiefe ein Stollen zusammengestürzt. Dann wieder war das Rauschen und Plätschern eines unterirdischen Flusses zu vernehmen, dessen Lärmen an- und wieder abschwoll. Gelegentlich glaubte Laghanos schrilles Gelächter hinter den Steinen zu hören, das Tapsen kleiner Füße oder Klauen, und er fragte sich, welch geheimnisvolles Getier wohl in den Gängen von Oors Caundis lebte, das diese Laute von sich gab.
Bisher kannte Laghanos nur einen Bruchteil der Logenburg. Man hatte ihn in einer gemütlich eingerichteten Höhle untergebracht, bestückt mit Flickenteppichen, einem Daunenlager und einer Kleidertruhe. Die Wände waren mit kunstvollen Fresken verziert. Sie zeigten die einstigen Großmeister der Malkuda, beginnend mit dem legendären
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