Nebelriss
Zauberer Durta Slargin. Er war als hagerer, dunkelhäutiger Mann dargestellt, der auf dem Kopf eine Flickenhaube trug und in der Hand einen knorrigen Zauberstab hielt. Auch die übrigen Großmeister waren mit entsprechenden Attributen abgebildet worden; manche trugen silberne Amulette, andere kunstvolle Hauben und Gewänder. Laghanos fragte sich, ob man eines Tages auch Malcorans Gesicht in dieses Wandgemälde einfügen würde, durch feine Pinselstriche verzerrt und geglättet, mit geweiteten Augen und harsch zusammengepressten Lippen.
»Es ist die magische Quelle von Oors Caundis, die diese Absonderlichkeiten hervorruft«, erklärte Malcoran. »Sie ist die seltsamste Quelle ihrer Art. Selbst uns, die wir sie zeit unseres Lebens erforscht haben, stellt sie vor immer neue Rätsel. Ihr Wohlwollen ist sprunghaft wie das einer Frau -mal verweigert sie sich, ohne dass du den Grund kennst, dann wieder dient sie sich dir an, auch wenn du ihrer überdrüssig bist.« Er lachte dröhnend. »Du verwirrst den Jungen« ermahnte Naikaya den Großmeister.
»Sicher, sicher«, erwiderte Malcoran leutselig. »Was die Goldei dir antaten, ist furchtbar.« Er betrachtete den Jungen aus feucht schimmernden Augen - ein Blick, den Laghanos nicht zu deuten vermochte. Waren es Tränen des Mitleids, die in Malcorans Augenwinkeln glänzten, oder lediglich eine Nachwirkung des hastig heruntergeschlungenen Sarshs? Waren es Pfeffer und Ingwer, die den großen Malcoran zum Weinen brachten? Laghanos deutete auf die Maske in seinem Gesicht. »Ihr müsst sie mir abnehmen«, bat er mit zitternder Stimme. »Ich kann sie nicht mehr ertragen; ich will sie nicht mehr unter meiner Haut spüren! Nehmt sie mir ab! Ich will, dass diese Schmerzen aufhören!«
Malcoran hob hilflos die breiten Schultern. »Das ist nicht so einfach, mein Junge. Es bedarf eingehender Überlegung. Noch wissen wir nicht, warum die Goldei dir die Maske aufsetzten.«
»Was gibt es da zu überlegen?«, empörte sich Naikaya. »Sie bereitet ihm Schmerzen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, ihn davon zu befreien.«
Malcoran erhob sich. Mit gequälter Miene schritt er in der Höhle auf und ab. »Zunächst muss der Innere Zirkel der Loge über den Vorfall in Kenntnis gesetzt werden. Er muss entscheiden, wie wir zu verfahren haben.« Naikaya schien wie vom Donner gerührt. »Wozu brauchst du die Zustimmung des Inneren Zirkels? Bist du zu feige, diese Entscheidung selbst zu fällen?«
»Ein bisschen mehr Respekt, Zauberin«, knurrte Malcoran. »Ich weiß, was ich tue. Laghanos muss dem Inneren Zirkel alles berichten, was er als Gefangener der Goldei erlebte. Zu viele Einzelheiten seiner Geschichte sind unklar.«
Laghanos spürte, wie sich seine Kehle zusammenzog. »Warum wollt Ihr mir nicht helfen? Ich ertrage diese Schmerzen nicht länger. Ich bitte Euch, Malcoran, nehmt sie mir ab!«
Der Logenmeister stellte sich vor Laghanos auf und betrachtete die goldenen Speichen der Maske. »Ein wahres Kunstwerk«, murmelte er. »Kein Goldschmied dieser Welt könnte es anfertigen.« Er beobachtete die Bewegungen der dünnen Achsen und Spangen, die sich mit jeder Regung im Gesicht des Jungen diesem anzupassen schienen; er lauschte dem leisen, kaum hörbaren Sirren der ineinander verschlungenen Drähte. »Ja, ein wahres Kunstwerk …«
»Es ist widerwärtig!«, zischte Naikaya. »Wie kann man einem Kind so eine Folter antun!« Sie betrachtete das Gesieht des Jungen mit Unbehagen. »Es ist eigenartig, Malcoran, doch der Anblick dieser Maske weckt in mir eine Erinnerung. Ich habe vor Jahren einmal eine Zeichnung gesehen …« Sie legte die Stirn in Falten. Malcoran blickte die Zauberin ungläubig an. »Eine Zeichnung? Was willst du damit sagen?« Naikaya zögerte. »Soweit ich mich erinnere, handelte es sich um eine Skizze in einem alten Buch - einem Buch unserer Bibliothek.«
Malcoran schüttelte verärgert den Kopf. »Komme mir nicht mit solchen Spinnereien! Ich kenne sämtliche Schriften unserer Bibliothek in- und auswendig. Mir ist keine solche Zeichnung bekannt.« Er streichelte Laghanos mit seiner fleischigen Hand über den Kopf. »Keine Angst, Laghanos - ich werde herausfinden, was es mit der Maske auf sich hat. So lange musst du allerdings die Schmerzen erdulden.« Unbeholfen griff er nach dem Arm des Jungen. »Folge mir! Ich will dir etwas zeigen; ein weiteres Geheimnis von Oors Caundis.« Mit wuchtigen Schritten durchmaß er die Höhle, den Jungen mit sich ziehend. Naikaya eilte ihnen
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