Nebelriss
»Der Weg, die Steine, rot von Blut … Vögel! Sie waren überall, ein ganzer Schwärm! Sie hackten mit ihren Schnäbeln auf ihren Schädel ein!« Er blickte auf seine verkrusteten Finger. »Ceyla … ich sehe sie noch vor mir … ihr Gesicht, ihre Augen, ich sehe sie ganz deutlich vor mir …«
Scorutar erhob sich. »Was ist geschehen, Majestät?«
Akendor ließ die Hände sinken. Fassungslos starrte er den Fürsten an. »Zerfetzt! Ihr Körper zerfetzt, zerrissen, mit sauberen Schnitten«, seine Stimme überschlug sich, steigerte sich zu einem schrillen Kreischen, »ihre Arme, ihre Brüste, ihr Gesicht … ich konnte nicht alles finden, es war unmöglich … im Schnee lag ihr Fuß, ihr schlanker Knöchel … könnt Ihr Euch das vorstellen? Ihr kleiner Fuß!« Ein Würgen erfasste ihn. »Der Weg, die Steine, der Schnee, alles bedeckt mit ihrem Blut… ein zweites Mal, ein zweites Mal, ich Narr!« Er taumelte auf Scorutar zu. Es war nichts Menschliches in seinem Blick. »Ihr habt sie umgebracht! Ihr habt sie umgebracht!!!« Scorutar erbleichte. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Majestät!«
»Erst Syllana und nun Ceyla«, flüsterte Akendor verzweifelt. »Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen, niemals!« Er blieb vor Tundia Suant stehen. Sein Gesicht wandelte sich zu einer Fratze des Hasses. »Du hast mich gewarnt, Tundia, ja, du hast mich gewarnt«, seine Worte wurden undeutlich, »… habe dir nicht geglaubt, habe nicht geglaubt, dass es ein zweites Mal geschehen kann, ein zweites Mal!« Er taumelte ihr entgegen. »Erst Syllana und nun Ceyla … oh, ihr Mörder!«
»Beruhigt Euch, Akendor!«, erklang die donnernde Stimme Binhipars. Mit großen Schritten umrundete der Fürst von Palidon die Tafel, seine mächtige Gestalt zur vollen Größe aufgerichtet. »Was immer geschehen sein mag, lasst uns Vernunft bewahren!«
»Zerfetzt von wilden Hunden«, brüllte Akendor, »zerrissen von Messern, von Zähnen, von Klauen! Zerrissen von Eurer Machtgier!« Er deutete auf Tundia Suant, die wie erstarrt vor ihm stand.
»Ich wusste nichts davon, Akendor«, stieß sie hervor. »Du musst mir glauben! Ich habe nichts davon gewusst.« Akendor starrte sie an. Dann, mit einer raschen Bewegung, beugte er sich herab und griff nach dem Mädchen, das sich an Tundia drängte. Er packte Suena und riss sie hoch. Das Kind schrie auf, als Akendor es an sich drückte, versuchte vergeblich, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. Tundia Suant erwachte aus ihrer Erstarrung. Mit einem schrillen Schrei stürzte sie sich auf den Kaiser, schlug mit den Fäusten auf ihn ein. Doch Akendor wirbelte zur Seite und versetzte ihr einen Tritt mit dem Stiefel. Er traf sie in den Unterleib. Keuchend brach Tundia Suant auf dem Boden zusammen.
»Ihr habt sie umgebracht«, brüllte Akendor. Seine Augen flackerten voller Wahn, während er das weinende Kind umklammerte. »Ihr alle, ihr alle! Erst Syllana und nun Ceyla … Ihr Mörder! Ihr Mörder!«
Binhipar war stehen geblieben. Er hob seine Hand und gab den Klippenrittern ein Zeichen. Langsam schoben sich die Krieger aus dem Schatten des Throns. »Gebt das Kind frei«, zischte er. Die Enden seines geflochtenen Barts zuckten umher. »Wie würde Euer Vater sich schämen, wenn er Euch jetzt sehen könnte!« Akendor hielt Suena fest in seinen Armen. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe sie geliebt«, flüsterte er. Seine Worte gingen im verzweifelten Weinen des Mädchens beinahe unter. »… habe sie so sehr geliebt!« Er schloss die Augen. Dann verkrampfte sich sein Körper. Er schlang die Arme fest um das Kind und drückte mit dem Kinn den kleinen Kopf herab. Ein knirschender Laut erklang, und Suenas Schreie brachen jäh ab. »Nein!«, stieß Tundia verzweifelt hervor. Sie versuchte sich aufzurichten, doch ihre Knie rutschten fort. Kraftlos schlugen ihre Fäuste auf den Boden, wieder und wieder.
Akendor öffnete die Augen. Ekel war in seinem Gesicht zu lesen, als er die Umklammerung löste und den Körper des Mädchens fallen ließ. Suena sackte leblos herab; ihre Arme verdrehten sich im Fall, der Kopf schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf.
Mit düsterer Miene wandte sich Binhipar Nihirdi den Klippenrittern zu. »Nehmt ihn in Gewahrsam«, sagte er mit müder Stimme. »Und bringt ihn fort. Ich kann seinen Anblick nicht mehr ertragen.« Er beugte sich zu Tundia herab, ganz vorsichtig und zärtlich, und hielt sie fest, während die Ritter mit gezückten Schwertern auf Akendor Thayrin
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