Nebelsphäre - haltlos (German Edition)
Zaubern vervielfachen konnte. Das klappte mittlerweile schon ganz gut und sie war sicher, dass sie ohne diesen Zauber vom Dauerorten so erschöpft gewesen wäre, dass ihr auch Unmengen an Zimt nicht mehr hätten helfen können.
Von den anderen Vorlesungen bekam Victoria kaum noch etwas mit. Wenn sie zu Hause in ihre Unterlagen schaute und die Übungen machen wollte, hatte sie den Eindruck, sie hätte eine fremde Mitschrift vor sich. Sie konnte sich an den Inhalt der Vorlesungen einfach nicht mehr erinnern und verstand immer weniger, worum es eigentlich ging. Als Folge fielen ihr die Übungen schwerer und das machte sie schier wahnsinnig.
Seit Victoria denken konnte, war sie gut in Mathe gewesen und kannte keine Verständnisprobleme. Jetzt machte sie zu ersten Mal die Erfahrung, wie quälend es sein konnte, nur Bahnhof zu verstehen und den Anschluss zu verlieren. In der ersten Woche hatte sie das Ganze noch beiseiteschieben können, aber seit zwei Wochen war sie zunehmend gereizt und beteiligte sich kaum noch am Unterricht.
Das bekamen auch ihre Freunde mit. In deren Gedanken konnte Victoria lesen, dass sie ihren Gemütszustand auf den Überfall zurückführten und darauf, dass sie jetzt erst mal damit klar kommen musste. Sie machten sich Sorgen um sie, wussten jedoch nicht, wie sie ihr helfen sollten.
Victoria aber wusste, dass es nicht daran lag. Es lag eindeutig an Jaromir. Wenn sie sich sahen, war alles gut – nein, es war mehr als gut! Anfangs hatte sie gedacht, dass ihre Schmetterlinge das Flattern nach ein paar Tagen einfach einstellen würden – eben sobald der Reiz des Neuen verflogen war, aber das Gegenteil war der Fall. Auch war sie davon ausgegangen, dass das angenehme Prickeln in seiner Nähe nachlassen würde oder seine Augen für sie an Leuchtkraft verlieren würden, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen wurde es von Treffen zu Treffen intensiver.
„Naja gut, wir sind ja auch erst vier Wochen zusammen… Aber ich kriege ansonsten echt nichts mehr auf die Reihe. Das ist doch nicht mehr normal!“
Sie sahen sich fast jeden zweiten Abend, aßen gemeinsam, übten verschiedene Zauber oder redeten einfach nur miteinander. Und dann waren da ja auch noch die «Übungen für seine Selbstbeherrschung».
Victoria liebte es, wenn er sie küsste. Es reichte häufig schon, dass er sie auf eine bestimmt Art ansah. Dann verteilten ihre braven Schmetterlinge Unmengen an Glückstaub und entzündeten ein Feuer in ihr. Die ungeduldigen Flattertiere waren unersättlich und forderten dreist mehr, sobald seine Lippen die ihren auch nur berührten.
Jaromirs Selbstbeherrschung machte Fortschritte, wenn auch nur kleine. Aber das war Victoria egal; Hauptsache er küsste sie weiterhin und hörte nicht auf, sie mit seinen schönen, braunen Augen verliebt anzusehen.
An den anderen Abenden versuchte Victoria verzweifelt Mathe zu machen. Aber das wurde von Tag zu Tag schwieriger. Sie konnte sich auf nichts mehr konzentrieren.
„Das ist nicht wahr!“ , dachte sie sarkastisch. „Ich kann mich sehr wohl konzentrieren – aber eben nur noch auf Jaro… so langsam ist das echt nicht mehr lustig!“
Nachts träumte sie von schwarzen Drachen und nicht enden wollenden Küssen. Wenn sie aufwachte, war sie selig, wurde dann abrupt panisch und kontrollierte erst mal, ob ihre Gedankenfenster auch alle noch verschlossen waren. Obwohl Jaromir ihr versichert hatte, dass sie auch im Schlaf alle Vorhänge zugezogen hatte, schwebte ihre mögliche Entdeckung drohend wie ein Damoklesschwert über ihr.
Heute war Freitag. Eigentlich war sie mit Jaromir verabredet gewesen, aber sie hatte kurzfristig abgesagt. Am Mittwoch und am Donnerstag war sie auch schon zu Hause geblieben, hatte aber original gar nichts gebacken bekommen. Der Stapel von Vorlesungen und Übungen, um die sie sich noch kümmern musste, wurde langsam erdrückend. Jaromir hatte mehrfach angeboten, ihr zu helfen, aber das kam ihr wie Betrug vor. Sie musste das hier allein schaffen.
Jetzt war es zweiundzwanzig Uhr und Victoria hatte den Lehrsatz vor sich schon zum zehnten Mal gelesen, ohne seine Bedeutung auch nur im Ansatz zu verstehen. Tatsächlich war sie weder nachmittags noch abends vorangekommen.
Sie schlug die Unterlagen wütend zu.
„SO KANN DAS NICHT WEITERGEHEN!!!!! Ich drehe hier noch durch! Aber, echt ey!“
Victoria schloss die Augen und atmete tief durch. Wenn sie sich zu sehr aufregte, würde Jaromir das sofort merken und sich beunruhigt mit ihr in
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