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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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blinzeln, weil ihm der Schnee in die Augen flog.
    »Wird jemand kommen?«, schrie er.
    Sie schüttelte den Kopf und brüllte zurück:
    »Wir können hier nicht bleiben!«
    »Was?«
    Tilda zeigte nach Osten.
    »Dort drüben liegt ein Hof!«
    Er nickte und drehte die Scheibe wieder hoch. Sekunden später hatte auch er sich aus dem Wagen gezwängt, ihn abgeschlossen und folgte Tilda.
    Sie mussten sich durch die Schneewand kämpfen, die sich über die Straße schob, durch den Graben und über eine Steinmauer. Tilda kannte den Weg, Martin folgte dicht hinter ihr. Es ging langsam voran. Jeder Blick nach vorne fühlte sich an, als peitschten einem eiskalte Birkenzweige ins Gesicht. Sie lief gebückt, um vom Wind nicht umgeworfen zu werden.
    Tilda trug nur halbhohe Stiefel, hätte aber am liebsten Ski oder Skischuhe an den Füßen gehabt.
    Nach einigen Metern drehte sie dem Wind den Rücken zu und streckte der dunklen Gestalt hinter ihr die Hand entgegen.
    »Komm!«, rief sie.
    Martin zitterte bereits vor Kälte, er hatte nur eine dünne Lederjacke an und trug keine Mütze. Seine viel zu dünne Kleidung war zwar seine eigene Schuld, sie reichte ihm trotzdem die Hand.
    Wortlos nahm er sie. Sie hakten sich ein und setzten ihre Wanderung nach Åludden fort.

31
    H enrik Jansson kämpfte sich durch den aufstiebenden Pulverschnee, den Kopf im tosenden Wind tief auf die Brust gedrückt. Er hatte nur eine vage Ahnung, wo er sich befand.
    Er schätzte, dass er die Strandwiesen südlich der Leuchttürme erreicht hatte, aber er konnte sie nicht sehen, der Schnee peitschte ihm ins Gesicht und schien seine Augen zerkratzen zu wollen.
    Idiot . Er hätte zu Hause bleiben sollen. Er hatte sich immer daran gehalten, wenn ein Nebelsturm aufzog.
    Im Alter von sieben Jahre war er zu Besuch im Sommerhaus seiner Großeltern gewesen und hatte einen Albtraum gehabt: Ein Rudel brüllender Löwen war in der Nacht um sein Bett gestrichen.
    Als er am Morgen erwacht war, waren die Löwen verschwunden. Im Haus war kein Laut zu hören gewesen. Er war aus dem Bett geklettert und hatte aus dem Fenster gesehen. Die Welt war ein Meer aus funkelndem Weiß gewesen.
    »Heute Nacht hat uns ein Nebelsturm heimgesucht«, hatte ihm Großvater Algot erzählt.
    Die welligen Schneewehen hatten sich bis zum Fensterbrett aufgetürmt, Henrik hatte die Tür nicht mehr öffnen können.
    »Wie weiß man eigentlich, Großvater, dass es ein Nebelsturm ist?«
    »Man weiß nicht, wann der Nebelsturm kommt«, hatte Algot erwidert, »aber man weiß es ganz sicher, wenn er da ist.«
    Und auch Henrik wusste, dass er in einem Nebelsturm am Strand der Ostsee unterwegs war. Der Wind war lediglich eine Vorahnung dessen gewesen, was ihn noch erwartete.
    Algots Sense schwang hin und her und zog ihn zu Boden. Er war gezwungen, sie fallen zu lassen, aber die Axt behielt er. Er machte drei Schritte über den gefrorenen Boden, dann krümmte er sich zusammen und ruhte sich einen Augenblick aus. Dann die nächsten drei Schritte.
    Nach einer Weile musste er sogar nach jedem zweiten Schritt eine Pause machen.
    Henrik hörte das Grollen der Wellen, die am Strand brachen, aber er konnte das Meer nicht sehen – er konnte in keiner Richtung etwas erkennen.
    Die Schmerzen im Bauch hatten nachgelassen, vielleicht hatte der eiskalte Wind die Blutung gestillt. Gleichzeitig hatte er jedoch den Eindruck, dass sein ganzer Körper taub wurde und einschlief.
    Sein Bewusstsein zog sich zurück – es war manchmal so weit weg, dass er das Gefühl hatte, neben seinem Körper herzulaufen.
    Henrik musste an Katrine denken, die bei Åludden ertrunken war. Er hatte gerne für sie gearbeitet, den Boden geschliffen und neue Dielen verlegt. Sie war auch so zart und blond gewesen wie Camilla.
    Camilla.
    Er konnte sich genau an ihre Wärme erinnern, als sie zusammen im Bett gelegen hatten. Aber dieser Gedanke wurde sofort vom Wind davongetragen.
    Jetzt war es zu spät, um nach Enslunda ins Bootshaus umzukehren, außerdem wusste er nicht mehr, wo genau es sich befand. Und wo zum Teufel standen diese verdammten Leuchttürme? Henrik wagte es, nach vorne zu schauen, und entdeckte in der Ferne ein schwach blinkendes Licht – also war er auf dem richtigen Weg.
    Einatmen, einen Schritt machen, ausatmen.
    Dann erwischte ihn ein harter Windstoß von der Seite. Offensichtlichhatte der Sturm noch an Stärke zugenommen, obwohl er das kaum für möglich gehalten hatte.
    Er fiel nach vorne auf die Knie. Dabei verlor er die

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